Es gibt keinen Bauskandal GNZ 2019-05-25

SEG und Magistrat weisen BG-Vorwürfe erneut zurück – mögliche Verstöße können sie indes nicht entkräften Von Matthias Boll

Gelnhausen. Nachdem sich auf Antrag der „Bürger für Gelnhausen“ (BG) ein Akteneinsichtsausschuss gebildet hat, der sich mit den Vorgängen rund um den Verkauf öffentlicher Grünflächen an private Grundstücksbesitzer im Baugebiet „Mittlauer Weg“ befassen wird, meldeten sich gestern Magistrat und Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) zu Wort. In einer gemeinsamen Mitteilung betonen sie noch einmal, dass es keinen Bauskandal gebe. Die im Raum stehenden Verstöße gegen den Bebauungsplan können sie indes nicht entkräften.

Die BG hatte angeklagt, dass durch eine Änderung des Bebauungsplans nachträglich ein Bauskandal im Neubaugebiet „Mittlauer Weg“ legitimiert werden soll (GNZ vom Mittwoch). „Diesen vermeintlichen Bauskandal gibt es nicht. Die Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen und ganz klar durch Fakten widerlegbar“, erklären Bürgermeister und SEG-Aufsichtsratsvorsitzender Daniel Glöckner, die SEG-Geschäftsführer Michael Schwaab und Günther Kauder sowie der ehemalige SEG-Aufsichtsratsvorsitzende und Bürgermeister Thorsten Stolz in einer gemeinsamen Stellungnahme. Bereits im GNZ-Bericht am Mittwoch hatten SEG und Magistrat auf Anfrage den BG-Vorwurf zurückgewiesen, der Verkauf von im Bebauungsplan als öffentliche Grünflächen definierten Flächen an die direkt angrenzenden Bauherren sei nicht durch die Stadtverordneten legitimiert und damit nicht rechtens gewesen. In der aktuellen Mitteilung wiederholen sie ihre Argumentation: Die SEG sei Eigentümerin der betreffenden Flächen, daher seien ausschließlich deren Gremien für die Abwicklung zuständig. Öffentliche Flächen bedeute aber nicht, dass diese sich auch im Besitz der öffentlichen Hand befinden müssten.

Bei den entsprechenden Flächen handele es sich um „fünf Meter breite Grünstreifen zentral im Wohngebiet, mit Anbau-Verbot belegte Grünflächen direkt an der Kreisstraße und dauerhaft verschattetes Grünland entlang der Lärmschutzwand sowie nicht an Erschließungsstraßen gelegene Flächen“, heißt es in der Mitteilung weiter. Bei solchen Verkäufen werde vertraglich stets sichergestellt, dass die erworbenen Grünflächen nicht einfach als Bauland genutzt werden. „Sollte irgendwann einmal doch eine Umwandlung erfolgen, ist mit jedem Grundstücksbesitzer generell und auch in jedem städtischen Neubaugebiet vertraglich geregelt, dass die Differenz zum Baulandpreis nachgezahlt werden muss“, so der damalige SEG-Aufsichtsratsvorsitzende und ehemalige Bürgermeister Thorsten Stolz.

Namenloser Fachanwalt versus Untere Naturschutzbehörde

„Daran hat sich auch seit dem Amtswechsel im Rathaus nichts geändert“, bekräftigt Bürgermeister Daniel Glöckner die Fortsetzung dieser üblichen Vorgehensweise in seiner Amtszeit. Der Rathauschef weist zudem darauf hin, dass die beim Main-Kinzig-Kreis angesiedelte Untere Naturschutzbehörde bereits seit Monaten mit der Stadt in Kontakt stehe, weil der Bebauungsplan ohnehin „in mehreren unstrittigen Punkten planungstechnisch entsprechend anzupassen“ sei. „Dabei handelt es sich um eine übliche Fortschreibung der Bauleitplanung, wie sie bei jedem Baugebiet üblich ist. Und dass dann die Teilumwandlung der öffentlichen Grünflächen in Hausgärten, wie vom Magistrat beschlossen, mit in den Entwurf des B-Planes aufgenommen wird, versteht sich ja von selbst.“ Dass eben jene Untere Naturschutzbehörde in einem Antwortschreiben an die BG zwei Verstöße gegen den aktuellen Bebauungsplan belegt (die GNZ berichtete), bleibt an dieser Stelle unerwähnt.

In den Fachausschüssen und der Stadtverordnetenversammlung habe die BG während und nach der öffentlichen Anhörung des Planwerkes genug Zeit und Raum, sich sachlich und fachlich mit der Änderung der Planung auseinanderzusetzen, heißt es in der Stellungnahme weiter. Dies sei das vorgesehene Verfahren nach Baugesetzbuch „und keine Legitimierung durch die Hintertür. Deshalb ist dieser Vorwurf der BG so hanebüchen wie alle anderen Anschuldigungen der BG“, so Glöckner.

Eine Einschätzung, die laut SEG-Mitteilung auch „ein renommierter Fachanwalt für Verwaltungsrecht“ untermauert, der namentlich nicht genannt wird. Bereits im Oktober 2018 habe er sich im Auftrag der SEG mit einer entsprechenden Beschwerde der BG bei der Kommunalaufsicht befasst. Er kommt in seiner Bewertung laut SEG zu folgendem Ergebnis: „Die Behauptung der Bürger für Gelnhausen, mit der Veräußerung der öffentlichen Grünflächen an Dritte würde gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes verstoßen, ist rechtsfehlerhaft. Einer Änderung des Bebauungsplanes bedarf es in Folge der Veräußerung der öffentlichen Grünflächen an Private nicht, da sich an der durch den Bebauungsplan festgesetzten Nutzung dieser Grundstücksflächen nichts ändert. Ein Rechtsverstoß seitens der Stadt Gelnhausen im Zuge der Veräußerung der öffentlichen Grünflächen an Private ist nicht erkennbar.“ Mit dieser Auffassung widerspricht der namenlose Anwalt der Einschätzung der Unteren Naturschutzbehörde. Diese hatte der BG zum einen bestätigt, dass „der Verkauf öffentlicher Grünflächen zu Wohnzwecken der Grundstücksanlieger den Festsetzungen des Bebauungsplans selbstverständlich widerspricht“. Ausschlaggebend sei dabei die zu erwartende Folgenutzung: Die Flächen seien dann nicht mehr zugänglich, ihre Zweckbestimmung – wie „Freizeit und Erholung“ – hinfällig.

Ein dreister Vorwurf

Ein zweiter Verstoß gegen den B-Plan, den das Schreiben der Unteren Naturschutzbehörde belegt, wird von Magistrat und SEG indes mit keiner Silbe erwähnt. Aus der Antwort der Behörde an die BG geht nämlich hervor, dass mit der nachträglichen Änderung des Bebauungsplans „gleichzeitig der durch die Umwidmung erforderlich werdende naturschutzrechtliche Ausgleich an anderer Stelle geregelt werden“ soll. Denn die erforderliche Punktzahl zum Ausgleich des Eingriffs, den die Ausweisung eines Neubaugebietes darstellt, hätte nur durch die in den Plänen verbindlich festgelegten Bepflanzungen erreicht werden können – was sie offenbar nicht wurde. Unerwähnt bleibt an dieser Stelle konsequenterweise auch, welche möglichen Folgen die offenbaren Verstöße gegen die Festlegungen des B-Plans haben könnten: angefangen von eventuellen Kosten für den Erwerb von neuen Ausgleichsflächen außerhalb des Baugebietes über zusätzliche Planungskosten bis hin zu möglichen Klagen von Anwohnern.

SEG und Magistrat werfen in ihrer Mitteilung stattdessen die Frage auf, warum „die BG in den Jahren 2015 und 2016 in sämtlichen Gremien alle jetzt plötzlich kritisierten Entscheidungen mitbeschlossen, jahrelang keine Kritik geäußert hat und nun auf einmal einen vermeintlichen Skandal wittert“. Erstaunt seien die Verantwortlichen besonders über das Verhalten des BG-Fraktionsvorsitzenden Bodo Delhey: „Ihm gehen als Fraktionsvorsitzendem mit zeitlichem Abstand von maximal sechs Wochen sämtliche Magistratsprotokolle zu. Deshalb weiß er spätestens seit Februar 2016 von der Entscheidung des Magistrats und des SEG-Aufsichtsrates, die Grünstreifen im Mittlauer Weg an die Grundstückseigentümer zu veräußern. Wenn er darin einen Skandal sieht, hätte er das sofort äußern sollen. Aber über drei Jahre zu schweigen, jetzt ein solches Fass aufzumachen und obendrein auch erst nach so langer Zeit ein Informationsdefizit zu beklagen, das hat für uns einen sehr faden Beigeschmack.“

Ein dreister und nahezu grotesk anmutender Vorwurf, wenn man bedenkt, dass Delhey erstmals am 16. Mai 2016 in dieser Angelegenheit tätig wurde. Dies belegt ein Schriftwechsel mit dem damaligen Bürgermeister Thorsten Stolz, der der GNZ vorliegt. Darin hatte Delhey Stolz gebeten, dass keine weiteren öffentlichen Flächen verkauft werden und die Festlegungen des B-Plans nicht im Nachhinein geändert werden sollten. Er wies schon damals auf die Rechtslage und den Umstand hin, die Käufer von Grundstücken könnten sich getäuscht fühlen, da sie beim Kauf von der Umsetzung des B-Planes ausgegangen seien. Stolz versicherte Delhey, dass „auch nach dem Verkauf von Teilflächen noch ausreichend öffentliche Flächen vorhanden seien, die naturnah gestaltet werden könnten“. Dass es dann nur noch knapp die Hälfte der ursprünglichen 30 000 Quadratmeter sein würden, erwähnte der damalige Rathauschef indes nicht. Im April 2017 erfolgte der Baubeginn im „Mittlauer Weg“. Ein Jahr später waren gravierende Abweichungen vom B-Plan nicht mehr zu übersehen. Also schrieb Delhey am 6. März 2018 erstmals in dieser Angelegenheit an den neuen Rathauschef. Wie bereits berichtet, sollte es nicht das letzte Mal bleiben – weitere Schreiben und zahlreiche Treffen folgten, ehe plötzlich die nachträgliche Änderung des Bebauungsplans erstmals am 12. Dezember 2018 auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung stand. Magistrat und SEG bleiben also bei ihrer Darstellung, dass im „Mittlauer Weg“ alles mit rechten Dingen zugegangen ist, wie sie in in ihrer gemeinsamen Stellungnahme erneut betonen. Dennoch ist festzuhalten, dass einige Fragen offen bleiben. Antworten könnte der eingesetzte Akteneinsichtsausschuss geben.