Skandal um Neubaugebiet?

„Mittlauer Weg“ in Meerholz: BG erheben schwere Vorwürfe und beantragen Akteneinsicht / Stolz und Kauder weisen Anschuldigungen entschieden zurück / Verstöße gegen den Bebauungsplan

Von Matthias Boll und David Noll

Gelnhausen. Die „Bürger für Gelnhausen“ wittern einen Bauskandal im Neubaugebiet „Mittlauer Weg“, der durch eine Änderung des Bebauungsplans nachträglich legitimiert werden soll. Sie erheben schwere Vorwürfe gegen den damaligen Bürgermeister Thorsten Stolz (SPD) und den ehemaligen Bauamtsleiter Günther Kauder. Stolz und Kauder indes weisen alle Anschuldigungen entschieden zurück: Alles sei mit rechten Dingen zugegangen, der Stadt folglich auch keinerlei Schaden entstanden. Aber so ganz einwandfrei scheinen die Vorgänge rund um das Neubaugebiet nicht gelaufen zu sein. In der Stadtverordnetenversammlung heute Abend um 19.30 Uhr in der Stadthalle werden die BG einen Akteneinsichtsausschuss in dieser Causa beantragen.

Die BG werfen den Verantwortlichen der Stadt vor, verbindliche Festsetzungen des Bebauungsplans, parlamentarische Beschlüsse und Anfragen von Fraktionen und Stadtverordneten außer Acht gelassen und Bürgerwillen schlichtweg ignoriert zu haben. Sie sprechen von „der nachträglichen Genehmigung eines Bauskandals“ und bezeichnen die Vorgänge als ein „Muster für Intransparenz und Klüngel“. Stolz und Kauder hingegen können die Aufregung nicht nachvollziehen. Sie berufen sich darauf, weder gegen Vorgaben des Bebauungsplans verstoßen noch auf eine andere Art und Weise unrechtmäßig gehandelt zu haben.

Zu den Fakten: Am 10. Juni 2015 beschließt die Stadtverordnetenversammlung den Bebauungsplan „Mittlauer Weg“ als Satzung. Darin ist unter anderem festgelegt, dass circa 30 000 Quadratmeter des Neubaugebiets als öffentliche Grünflächen ausgewiesen werden. Am 16. Dezember 2015 folgt dann die erste Änderung des Bebauungsplans: Eine Komponente ist dabei die Vorgabe, dass die öffentlichen Grünflächen im Sinne der Biodiversität naturnah gestaltet werden sollen. Knapp drei Wochen später genehmigt der Magistrat eine Vorlage der Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG), nach der diese ermächtigt wird, an die Grundstücke angrenzende öffentliche Grünflächen an die jeweiligen Grundstückseigentümer zu verkaufen beziehungsweise zu verpachten. Und an diesem Punkt entzündet sich die Diskussion.

Die BG sehen in dieser Entscheidung eine Ignorierung des Parlamentsbeschlusses. „Der Magistrat war nicht befugt, das zu genehmigen. Eine Änderung hätte allein durch die Stadtverordneten erfolgen dürfen“, argumentiert BG-Stadtverordneter Jochen Zahn. Der Verkauf und die Verpachtung der Grünflächen seien daher ohne Legitimation erfolgt. Damit sei gegen den rechtsverbindlichen Bebauungsplan verstoßen worden.

Stolz: Kein Widerspruch

Diesen Aussagen widersprechen Günther Kauder, SEG-Geschäftsführer und damaliger Bauamtsleiter der Stadt, und Thorsten Stolz, damals Bürgermeister und heute Landrat, auf Anfrage entschieden. „Es gibt keine Regelung im Baugesetzbuch, die besagt, dass öffentliche Grünflächen sich im Eigentum der öffentlichen Hand befinden müssen. Auch der Bebauungsplan regelt nicht, wem welche Flächen gehören“, erklärt Kauder. Beweggrund für den Magistrat sowie den Aufsichtsrat der SEG sei gewesen, die Einnahmen zu erhöhen und die Folgekosten zu reduzieren. Durch eine Verringerung der unterhaltungspflichtigen Grünflächen von 30 000 auf 15 000 Quadratmeter habe die SEG Mehreinnahmen von circa 550 000 Euro generiert, und bei der Pflege der Flächen spare die Stadt jährlich eine Arbeitskraft ein.

Stolz sieht in den Beschlüssen der SEG und des Magistrats auch keinen Widerspruch zu den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung. „Dass in Bebauungsplänen ausgewiesene Grünflächen an angrenzende Grundstückseigentümer verkauft oder verpachtet werden, ist keine Besonderheit des Baugebietes Mittlauer Weg, sondern wird in allen Stadtteilen so gehandhabt“, betont der damalige Rathauschef. Er verweist außerdem darauf, dass die SEG Eigentümerin der Grundstücksflächen sei und somit ausschließlich deren Gremien für die Abwicklung zuständig seien. Speziell für das Baugebiet habe die Stadtverordnetenversammlung die SEG zudem mit der Planung, Erschließung und Vermarktung des Baugebietes beauftragt.

BG: 2,5 Millionen Euro Schaden

Nicht nachvollziehbar ist aus Sicht der BG auch, warum der Magistrat den von der SEG vorgeschlagenen Preis von 60 Euro auf 38,50 Euro pro Quadratmeter reduziert hat. Darauf hat Stolz eine plausible Antwort parat: „Weil der Magistrat eine Gleichbehandlung der Grundstückseigentümer im Mittlauer Weg mit anderen Grundstückseigentümern, die in den zurückliegenden Jahren Grünflächen für 38,50 Euro je Quadratmeter erworben haben, gewährleisten wollte.“ Das sei nicht nur richtig, sondern im Übrigen für eine reine Grünfläche, die nicht als Bauland genutzt werden könne, sehr viel Geld.

Auf Unverständnis der BG stößt auch das in ihren Augen eigenmächtige Handeln der SEG, das darüber hinaus finanzielle Folgen für die Stadt habe. „Wenn die SEG der Meinung ist, dass die öffentlichen Grünflächen zu groß sind, hätte das den Stadtverordneten mitgeteilt und in der 1. Änderung des Bebauungsplans eingearbeitet werden müssen. Wenn man die öffentlichen Grünflächen um 16 000 Quadratmeter reduziert, dann hätte man zusätzliche Bauplätze ausweisen können, die für 200 Euro statt 38,50 Euro verkauft werden können“, sagt der BG-Fraktionsvorsitzende Bodo Delhey. Mit den mittlerweile verkauften 16 000 Quadratmetern errechne sich somit eine Mindereinnahme von 2,58 Millionen Euro. Dem entgegnet Kauder, dass den Eigentümern der angrenzenden Flächen lediglich Fünf-Meter-Streifen verkauft worden seien. „Daraus lassen sich keine bebaubaren Grundstücke bilden“, betont der SEG-Geschäftsführer. Stolz verweist ergänzend darauf, dass das Ausweisen weiterer Baugrundstücke zu einer höheren Bebauungsdichte im Mittlauer Weg geführt hätte, die von Anfang an nicht gewollt gewesen sei.

Kauder: Keine Verluste für SEG

Kauder kommt zu dem Schluss, dass der SEG keine Verluste entstanden seien, im Gegenteil. Auch die Grundzüge des Bebauungsplans seien durch die Eigentumsverhältnisse in keinster Weise berührt. „Das bedeutet: Der Bebauungsplan muss nicht zwangsläufig geändert werden.“ Aber ganz so einwandfrei, wie der ehemalige Bauamtsleiter der Stadt es gerne glauben machen will, sind die Dinge dann wohl doch nicht gelaufen. Zumal ja sonst auch nicht die angestrebte 2. Änderung des Bebauungsplans notwendig geworden wäre, die zweimal kurzfristig von der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung genommen wurde. Stolz hingegen räumt zumindest ein, dass eine Frage „möglicherweise im Nachgang noch baurechtlich geklärt werden“ müsse: ob durch den Verkauf von öffentlicher Grünfläche – und jetzt Nutzung als teilweise private Grünfläche – noch eine Änderung des Bebauungsplans notwendig sei.

Zwei Verstöße gegen B-Plan

Und damit zurück zu den Fakten: Unabhängig von der Frage, ob der Verkauf öffentlicher Grünflächen im Mittlauer Weg mit oder ohne Legitimation des Stadtparlaments erfolgt ist, ist die Vorgehensweise der Stadt nämlich aus zwei anderen Gründen rechtswidrig: Zum einen gibt es im Bebauungsplan verbindliche Festlegungen von verschiedenen Zweckbestimmungen für die öffentlichen Grünflächen. Die Kategorie „Freizeit und Erholung“ mag zwar für den einzelnen Grundstückseigentümer in seinem vergrößerten Garten immer noch gegeben sein, für die Allgemeinheit gilt das jedoch nicht. Damit liegt in diesem Punkt ein Verstoß gegen den Bebauungsplan vor. Eine Auffassung, die auch die Untere Naturschutzbehörde des Main-Kinzig-Kreises teilt. Dies geht aus einem Antwortschreiben an die BG hervor, das der GNZ vorliegt. Darin heißt es: „Selbstverständlich widerspricht der Verkauf öffentlicher Grünflächen zu Wohnzwecken der Grundstücksanlieger den Festsetzungen des o.a. Bebauungsplans.“ Ausschlaggebend sei dabei nicht der Verkauf an sich, sondern die zu erwartende Folgenutzung: Die Flächen seien dann nicht mehr zugänglich, und die geplanten Maßnahmen könnten nicht mehr umgesetzt werden. „Damit ist die Zweckbestimmung der Flächen hinfällig“, so die Aufsichtsbehörde.

Der zweite Punkt sind die im Plan ausgewiesenen öffentlichen Grünflächen, die gemäß der Eingriffsplanung größtenteils als Ausgleichsflächen festgelegt sind. Die erforderliche Punktzahl zum Ausgleich des Eingriffs, den die Ausweisung eines Neubaugebietes darstellt, hätte aber nur durch die in den Plänen verbindlich festgelegten Bepflanzungen erreicht werden können. Wurde sie aber nicht, wie ebenfalls aus der Antwort der Unteren Naturschutzbehörde hervorgeht. „Mit der anstehenden B-Plan-Änderung soll daher gleichzeitig der durch die Umwidmung erforderlich werdende naturschutzrechtliche Ausgleich an anderer Stelle geregelt werden“, schreibt die Behörde. Das heißt, auch in diesem Punkt liegt ein Verstoß gegen den Bebauungsplan vor.

Weitreichende Konsequenzen

Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Stadt Gelnhausen: Zum einen muss der Plan überarbeitet werden. Ausgleichsflächen müssen nun außerhalb des Baugebietes neu ausgewiesen und eventuell angekauft werden. Zudem entstehen zusätzliche Planungskosten für die 2. Änderung des Bebauungsplans. Ebenfalls im Raum stehen mögliche Klagen von Anwohnern, die sich getäuscht fühlen könnten, da sie beim Kauf ihres Grundstückes von der Umsetzung des gültigen Bebauungsplans ausgegangen sind. Denn dass rund die Hälfte der ursprünglich öffentlichen Grünflächen nun in privater Hand sind, stellt sicherlich eine Verminderung der Wohnqualität dar. Darüber hinaus hätte der eine oder andere Häuslebauer vielleicht auch ein anderes Grundstück gewählt, wenn er um die Möglichkeit der kostengünstigen Erweiterung gewusst hätte. Eine zusätzliche Brisanz erhalten die Vorgänge rund um den Mittlauer Weg durch ein pikantes Detail: So soll nach Informationen der BG einer der ersten Käufer der Grünflächen ein nahes Familienmitglied von einem der damals maßgeblichen Entscheider gewesen sein. Einige Fragen sind also noch offen. Ein Akteneinsichtsausschuss könnte Licht ins Dunkel bringen.

Private Gärten statt öffentlicher Grünfläche: Die BG verlangen Aufklärung rund um den „Mittlauer Weg“. Foto: re

BG wirft dem Bürgermeister Untätigkeit vor Glöckner sieht keinen Handlungsbedarf

Auch wenn er damals noch nicht Bürgermeister der Stadt Gelnhausen war, so richtet sich die Kritik der „Bürger für Gelnhausen“ in der Causa „Mittlauer Weg“ auch gegen Daniel Glöckner (FDP). Dem aktuellen Rathauschef werfen die BG Untätigkeit vor. Glöckner verwehrt sich gegen diesen Vorwurf. Er verweist darauf, dass es keinen Rechtsverstoß und somit auch keinen Handlungsbedarf gegeben habe.

Nachdem die meisten Häuser gebaut waren, seien gravierende Abweichungen vom Bebauungsplan nicht mehr zu übersehen gewesen, berichtet der BG-Fraktionsvorsitzende Bodo Delhey. Bauherren hätten die angrenzenden öffentlichen Grünflächen mit Mutterboden aufgefüllt und teilweise mannshoch eingezäunt. Nachdem er zuvor mit dem damaligen Bürgermeister Thorsten Stolz (SPD) in Kontakt gestanden hatte, schrieb Delhey am 6. März 2018 erstmals in dieser Angelegenheit an den neuen Rathauschef. Darin forderte er Glöckner auf, den Verkauf von Grünflächen zu stoppen. Sechs Monate blieb eine Antwort aus.

Am 21. September 2018 hakten die BG noch einmal nach und forderten den Rathauschef auf, endlich aktiv zu werden. Eine Antwort blieb erneut aus. Bis Anfang Oktober 2018. Nach einer dritten Mail, verbunden mit der Ansage, die Kommunalaufsicht einzuschalten, ging noch am selben Tag eine Rückmeldung ein. Der Rathauschef teilte darin mit, er habe „das Thema im Hause platziert“ und werde in den nächsten Tagen darüber informieren.

„Die Information erfolgte in Form der Vorlage für die 2. Änderung des B-Planes ‚Mittlauer Weg‘ und deren ‚Platzierung‘ auf der Tagesordnung der nächsten Stadtverordnetenversammlung“, sagt Jochen Zahn im Gespräch mit der GNZ. „Die Absicht war unverkennbar: Der Verstoß gegen die Bestimmungen des ursprünglichen Planes sollte nachträglich legitimiert werden.“

Im Dezember 2018 fand auf Drängen der Wählergemeinschaft ein Treffen mit dem Bürgermeister statt. Darin wurde auf den Schriftverkehr mit Kommunalaufsicht, Unterer Naturschutzbehörde, Bauaufsicht, Regierungspräsidium und BUND hingewiesen. „Eine offizielle Antwort lag noch nicht vor, die Schreiben hatten aber mögliche disziplinäre beziehungsweise strafrechtliche Verstöße zum Inhalt, die im Raum stehen könnten. Der Bürgermeister wurde auf seine Rolle als Verwaltungschef und mögliche Folgen eines Nichtstuns aufmerksam gemacht“, so Bodo Delhey.

Nach diversen weiteren Gesprächen sei die Beschlussvorlage unmittelbar vor der Stadtverordnetenversammlung am 12. Dezember 2018 zurückgezogen worden. Dies sei geschehen, um die Rechtslage nochmals zu überprüfen, wie Glöckner auf Anfrage betont. „Mit dem gleichen Ergebnis: Die Verkäufe stellen keinen Rechtsverstoß dar, öffentliches Grün muss genau wie Straßen nicht zwangsläufig im Eigentum der Stadt stehen.“ Mit der 2. Änderung des Bebauungsplans solle auch „nichts nachträglich legitimiert werden“, so Glöckner weiter. Vielmehr gehe es um „noch andere Änderungen, die notwendig und unstrittig“ seien.

Den Käufern sei auch keine Änderung des Bebauungsplanes in Aussicht gestellt worden, sie hätten wissentlich öffentliches Grün gekauft. „Entgegen Informationen, die im Wohngebiet Mittlauer Weg unterwegs sind, werden diese Flächen keine bebaubaren Grundstücke. Sie sind auch keine Rechenhilfe bei der Grundflächen- und Geschossflächenzahl, denn auf die Dauer von 25 Jahren sind eine Vereinigung oder ein Verkauf der Flächen nur mit Zustimmung der Barbarossastadt Gelnhausen möglich“, so Glöckner. (mb)