GNZ POLITUREN-05-12-2020 von Matthias Boll
Advent – Zeit der Besinnlichkeit, der Ruhe und der Einkehr. Und ich soll jetzt die Keule rausholen und auf diese armen Politiker draufhauen? Das geht doch nicht. Deshalb zunächst zur Einstimmung etwas Besinnliches.
Zu Herzen gerührt hat mich in dieser Woche der Gelnhäuser Bürgermeister Daniel Glöckner (FDP). Da die öffentliche Würdigung der 24 kleinen Künstler, mit deren Motiven der Adventskalender am Gelnhäuser Obermarkt bestückt wurde, in diesem Jahr wegen Corona ausfallen muss, hat sich der Rathauschef etwas Besonderes einfallen lassen: Er wird den Kindern höchstselbst und persönlich einen Brief schreiben, den er zusammen mit den auf Hartschaum gezogenen Motiven und einem Kuschelhuhn von den Barbarossakindern verschicken wird. Was ich daran nun wieder auszusetzen habe? Nichts! Und? Kein und. Aber? Nichts aber. Es ist einfach nur eine schöne Geste. Besinnlichkeit.
Besinnlichkeit ist ja schön und gut, aber irgendwie auch ziemlich langweilig. Also Schluss mit dem Geschmuse!
Landrat Thorsten Stolz (SPD) scheinen in diesen Tagen die Sünden seiner Bürgermeister-Vergangenheit einzuholen. Durchaus möglich, dass er in dem einen oder anderen ruhigen Moment schon bei sich gedacht hat: „Mensch Günther (Kauder; Anm. d. Red.), hätten wir doch damals nicht diese blöden öffentlichen Grünflächen in diesem dämlichen Meerholzer Neubaugebiet verscherbelt.“ Ein durchaus nachvollziehbarer Gedanke, aber wie heißt es so schön: hätte, hätte, Fahrradkette.
Die Stolz‘sche Realität sieht derweil anders aus: Das Regierungspräsidium Darmstadt hat ein Prüfungsverfahren gegen den Landrat eingeleitet und untersucht unter anderem, ob es disziplinarrechtliche Schritte gegen Stolz ergreifen wird. Und aus strafrechtlicher Sicht könnte sich auch die Staatsanwaltschaft Hanau, deren Ermittlungen in der Causa Gelnhäuser Stadthalle übrigens nach wie vor andauern, noch für den Mittlauer Weg interessieren. Damit würde den damaligen und heutigen Verantwortlichen im Gelnhäuser Rathaus die zweifelhafte Ehre zuteilwerden, gleich mit zwei Fällen die Justiz zu beschäftigen.
Alles also irgendwie nicht so erfreulich für Stolz. Aber zumindest auf eines kann er sich in diesen stürmischen Zeiten verlassen: die bedingungslose Gefolgschaft seiner SPD Gelnhausen. Deren neueste Erkenntnis: „CDU, BG und Grüne haben sich in eine vermeintliche Causa Mittlauer Weg verrannt.“ Alles also nur eine Erfindung der Opposition – und der GNZ, wie zwischen den Zeilen mitschwingt. Für diese These haben die Stolz-Jünger natürlich auch einen eindeutigen Beleg. So sei es in Gelnhausen „gelebte Praxis“ gewesen, Grünflächen für 38,50 Euro pro Quadratmeter zu verschleudern, Verzeihung, zu veräußern. „Vergleichbare Beschlüsse wurden mehrfach durch die städtischen Gremien herbeigeführt“, betonen SPD-Fraktionschef Ewald Desch und Parteivorsitzende Susanne Turlach in einer Pressemitteilung. Und das ist nicht einfach nur so dahingesagt, wie eine Nachfrage der GNZ ergab. Zwar nahmen die sozialdemokratischen Recherchen für konkrete Beispiele dieser gelebten Praxis eine gewisse Zeit in Anspruch, spülten aber dann tatsächlich zwei eindrucksvolle Ergebnisse ans Tageslicht: Vor neun Jahren wurden im Baugebiet „Schwarzerlich“ in Meerholz 276 Quadratmeter Grünfläche zu besagten 38,50 Euro verkauft, vor acht Jahren im Baugebiet „Stempelberg“ in Höchst zwei Grundstücke mit insgesamt 320 Quadratmetern Grünfläche, wie die SPD mitteilte. Mehrfache vergleichbare Beschlüsse eben. Es gibt wirklich nur einen klitzekleinen Unterschied: Im Mittlauer Weg sollten insgesamt 52 Grundstücke mit einer Gesamtfläche von knapp 13 000 Quadratmetern öffentlicher Grünfläche der privaten Nutzung durch angrenzende Grundstücksbesitzer zugeführt werden.
Aus der gelebten Gelnhäuser Praxis von 2011 und 2012 nicht überliefert ist übrigens, ob der Bebauungsplan vorher, nachher oder gar nicht geändert wurde. Ebenfalls nicht bekannt ist, ob sich schon damals ein naher Angehöriger eines Verantwortlichen aus dem Gelnhäuser Rathaus über eine kostengünstige Erweiterung seines Grundstückes freuen durfte (ja, liebe SPD, ich weiß, kein Bauland). Irgendwie scheint mir das alles gerade ein bisschen zu entgleiten. Deshalb schnell zurück zur Besinnlichkeit!
Wir haben exklusiven Einblick in den persönlichen Brief von Daniel Glöckner an die 24 jungen Künstler des Adventskalenders erhalten. Nachfolgend das Schreiben des Bürgermeisters ungekürzt im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Mustermann,
lieber Max!
Vielen Dank für die Zusendung Ihres Bildes. Aus datenschutzrechtlichen und personalrechtlichen Gründen sowie ein laufendes Verfahren betreffend kann ich auch vor dem Hintergrund meiner persönlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 23 HGO als Bürgermeister und Sprecher des Magistrats keine weiteren inhaltlichen Auskünfte in dieser Angelegenheit erteilen. Ich finde aber, Sie, lieber Max, haben ein sehr schönes Bild gemalt.
Es grüßt
Daniel Chr. Glöckner Ich wünsche allen ein besinnliches Wochenende und entschuldige mich an dieser Stelle bei Landrat Thorsten Stolz und seiner SPD Gelnhausen sowie bei Dir, lieber Daniel, sehr geehrter Herr Bürgermeister Glöckner, für die wenig besinnlichen Gedanken – aber irgendwas muss halt auch in der Adventszeit in den „Polituren“ stehen.