Dienstag, 22. März 2022 GNZ KOMMENTAR von Mathias Boll
Die Rede des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Ewald Desch in der jüngsten Stadtverordnetenversammlung war eine Generalabrechnung mit der Arbeit von CDU, BG und Grünen in den beiden Akteneinsichtsausschüssen. Das ist unbestritten sein gutes Recht. Vor dem Hintergrund der Rolle, die maßgebliche Personen der SPD Gelnhausen in der Causa Mittlauer Weg und deren äußerst schleppender Aufklärung spielen, hätte sich der neutrale Beobachter aber vielleicht ein paar leisere Töne gewünscht.
Wortreich und mit viel Getöse skandalisierte Desch stattdessen Punkte, die in einer Geschichte um Fehler und vermutliche Verfehlungen seiner Genossen Thorsten Stolz und Günther Kauder weitestgehend nur Randaspekte abbilden. Zugleich setzte er damit die Strategie der Verharmlosungen und der Ablenkungsmanöver fort, die der ehemalige SPD-Chef seiner Fraktion seit Bekanntwerden des Skandals im Meerholzer Neubaugebiet seit Jahren ohne Rücksicht auf eigene Verluste verordnet hat. Und von diesen Verlusten gab es einige, wie nicht zuletzt das desaströse Ergebnis bei der Kommunalwahl vor einem Jahr schmerzlich gezeigt hat, als die stolze SPD um mehr als die Hälfte ihrer Sitze im Stadtparlament geschrumpft wurde. Aber offenbar ist Deschs Einfluss in der neuen Fraktion immer noch groß genug, um von dieser Linie der bedingungslosen Verteidigung von Stolz und Kauder weiterhin nicht abzurücken.
Im Wesentlichen sind es drei Punkte, die Desch in seiner rund 45-minütigen Rede zum Abschlussbericht „Mittlauer Weg I“ herausarbeitet. Es beginnt mit der schon öfters aus dem SPD-Lager gehörten „Einlassung“, dass auch die damaligen Verantwortlichen Fehler gemacht hätten. Genauer gesagt einen Fehler: Die Grünflächen hätten nicht vor der Änderung des Bebauungsplans verkauft beziehungsweise verpachtet werden dürfen. Das ist freilich richtig, zugleich aber auch eine Verharmlosung des Sachverhalts, die den Blick in eine falsche Richtung lenkt. Die beiden Kardinalfehler in der Causa Mittlauer Weg haben die Juristen des Hessischen Städte- und Gemeindebundes (HSGB) an einer ganz anderen Stelle ausgemacht: Der Magistrat hat die Grünflächen mit 38,50 Euro pro Quadratmeter weit unter Wert verkauft, da er die Flächen „bereits mit dem Verkauf des jeweiligen Baugrundstücks in Form nicht überbaubarer Bauflächen und damit zum regulären Baulandpreis von 200 Euro beziehungsweise 220 Euro pro Quadratmeter“ hätte veräußern müssen. Außerdem hat der Magistrat dabei seine Kompetenzen überschritten, da eine solche Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vorbehalten gewesen wäre. Dass dabei nicht einzelne Personen, sondern der Magistrat und die Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) diese Entscheidungen gemeinsam getroffen haben, wie Desch betont, mag zwar stimmen. Die ehrenamtlichen Stadträte und Aufsichtsräte der SEG müssen sich aber bei ihren Beschlüssen darauf verlassen können, dass die Hauptamtlichen aus dem Rathaus ihre Arbeit richtigmachen und ihnen keine fehlerhaften oder gar rechtswidrigen Unterlagen präsentiert werden.
Der zweite zentrale Punkt von Deschs Kritik bezieht sich auf die in seinen Augen falschen Informationen im Abschlussbericht – „alternative Fakten“, wie er es nennt. Dazu ist zum einen anzumerken, dass der GNZ Informationen über die Sitzung des Magistrats am 5. Januar 2016 vorliegen, die Deschs Aussagen widersprechen. So ist in der Vorlage aus dem Rathaus sehr wohl der Verkaufspreis von 60 Euro pro Quadratmeter vermerkt, der handschriftlich durchgestrichen und mit der Zahl 38,50 Euro ersetzt wurde. Der von Desch zitierte Hinweis, dass der Verkaufspreis noch durch den Magistrat festzulegen sei, findet sich in dem der GNZ vorliegenden Papier indes nicht. Eine mögliche Erklärung für diesen offensichtlichen Widerspruch könnte vielleicht sein, dass zwei voneinander abweichende Vorlagen für die besagte Magistratssitzung existieren. Aber ganz unabhängig davon ändert der Zeitpunkt der Festlegung des Verkaufspreises ohnehin nichts an dessen viel zu geringem Wert. Ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielt dabei die Frage, wer wann und wieso den ursprünglich von der SEG vorgeschlagenen Preis von 60 Euro herabgesetzt hat, da auch dieser laut HSGB-Stellungnahme noch nicht einmal ein Drittel des eigentlichen Wertes der Grundstücke abgebildet hätte.
Bleibt noch der Vorwurf der Kompetenzüberschreitungen seitens des Akteneinsichtsausschusses. In diesem Punkt mag man Deschs Argumentation sogar folgen können. Möglicherweise sind die Mitglieder von CDU, BG und Grünen in ihrem Bestreben um politische Aufklärung tatsächlich an der einen oder anderen Stelle übers Ziel hinausgeschossen. Im Falle der Strafanzeige darf man jedoch auch nicht vergessen, warum die drei Fraktionen letztlich auf eigene Faust die Staatsanwaltschaft eingeschaltet haben: weil Bürgermeister Daniel Glöckner (FDP) zuvor seine Kompetenzen überschritten hatte. Denn es liegt nicht in der Entscheidungsbefugnis eines Rathauschefs, einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung umzusetzen oder nicht. Schließlich hatte das Stadtparlament unter anderem eben jenes Einschalten der Staatsanwaltschaft bereits am 30. September 2020 beschlossen – allein Glöckner war‘s egal.
Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass es der SPD freilich unbenommen ist, den Abschlussbericht des Akteneinsichtsausschusses abzulehnen und dessen Arbeit mit markigen Worten zu kritisieren. Ein bisschen weniger Getöse um Randaspekte und dafür etwas mehr Demut hätte den Gelnhäuser Sozialdemokraten und ihrer Glaubwürdigkeit im speziellen Fall des Mittlauer Wegs jedoch sicherlich gut zu Gesicht gestanden. Aber vielleicht ist es für ein Umdenken ja noch nicht zu spät.