Staatsanwaltschaft hat Ermittlungsverfahren eingeleitet

Von Matthias Boll in der GNZ vom 07.12.2019

Brisantes Schreiben in der Causa Stadthalle aufgetaucht: Versäumnisse betreffen offenbar bei Weitem nicht nur den Brandschutz

Ausgangspunkt für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft war eine Strafanzeige des ehemaligen Technischen Leiters der Hallen- und Veranstaltungsgesellschaft (HVG), Michael Neitzert, gegen Bürgermeister Daniel Glöckner und den ehemaligen HVG-Geschäftsführer und Bauamtsleiter Günther Kauder, wie die GNZ am 16. November berichtete. Oberstaatsanwalt Dominik Mies hatte damals eine sorgfältige Überprüfung der Anzeige „in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht“ angekündigt. Denn bloße Vermutungen oder kriminalistische Hypothesen reichen nicht aus, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Vielmehr muss ein Anfangsverdacht bestehen, der auf konkreten Tatsachen beruht. Ein Anfangsverdacht wiederum liegt vor, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine „verfolgbare Straftat“ vorhanden sind, wie es in der Strafprozessordnung heißt. Und genau das ist in der Causa Stadthalle offenbar der Fall. Deshalb ist aus der sogenannten Anzeigensache ein Ermittlungsverfahren geworden, wie Mies auf Anfrage bestätigte. „Es ist zu untersuchen, ob die tatsächlichen Angaben des Anzeigeerstatters zutreffend sind und – sofern dies zu bejahen ist – wer zuständig war und vor allem, ob dem Träger der Stadthalle hierdurch ein Schaden entstanden ist, der anderenfalls (bei regelmäßiger TÜV-Überprüfung) nicht eingetreten wäre“, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hanau außerdem mit. Weitere Angaben zur Sache wollte er zum derzeitigen Stand der Ermittlungen noch nicht machen.

„Die Halle hat seit 1984 keine TÜV-Abnahme in den einzelnen Sparten gehabt“

Derweil wurde der GNZ ein Schreiben mit brisantem Inhalt zugespielt. Es ist an eine Mitarbeiterin des städtischen Bauamts adressiert und stammt von Rainer Krieger, dem Vorgänger von Michael Neitzert als Technischer Leiter der HVG. Darin weist Krieger das Bauamt im Zusammenhang mit der Stadthalle auf diverse Bestimmungen der sogenannten Versammlungsstättenverordnung hin. Weiterhin zählt er unterschiedliche Prüfintervalle für TÜV-Abnahmen in den Bereichen Lüftungsanlagen, Elektroanlagen, Blitzschutz, Sicherheitsbeleuchtung, Rauchklappen, Entrauchung, Feuerlöscher, Hydranten und Bühne auf. Nach dieser Aufzählung zitiert er unter anderem aus dem Paragrafen 38 der Verordnung: „Der Betreiber ist für die Sicherheit der Veranstaltung und die Einhaltung der Vorschriften verantwortlich. (…) Der Betreiber ist zur Einstellung des Betriebes verpflichtet, wenn für die Sicherheit der Versammlungsstätte notwendige Anlagen, Einrichtungen oder Vorrichtungen nicht betriebsfähig sind (…).“ Dann macht er eine weitreichende Feststellung, die er als Anmerkung einführt: „Die Halle hat seit 1984 keine TÜV-Abnahme in den einzelnen Sparten gehabt.“ Soll heißen: Seit dem Bau der Stadthalle wurden Lüftungsanlagen, Elektroanlagen, Blitzschutz, Sicherheitsbeleuchtung, Rauchklappen, Entrauchung, Feuerlöscher, Hydranten und Bühne nicht auf ihre Funktionstüchtigkeit und Sicherheit überprüft.

„Dennoch sehe ich es als meine Pflicht an, auf all diese Missstände hinzuweisen“

Ihm sei sehr wohl bewusst, schreibt Krieger weiter, dass diese ganzen Maßnahmen zur Sicherheit sehr viele Kosten verursachen würden und es der Stadt finanziell nicht gut gehe. „Dennoch sehe ich es als meine Pflicht an, auch wenn es nicht gerne gesehen wird, auf all diese Missstände hinzuweisen, da auch ich ein Stück weit dafür Verantwortung trage.“

An dieser Stelle sind die Parallelen zu Erfahrungen seines Nachfolgers nicht zu übersehen. Auch Neitzert hatte seit seinem Arbeitsantritt 2011 das Bauamt nach eigener Aussage mehrfach und wiederholt auf wichtige, weil sicherheitsrelevante und gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen in den Hallen – zum Beispiel der Brandschutzklappen – hingewiesen. Alle Warnungen seien jedoch vom Bauamt in den Wind geschlagen worden. Offenbar erging es Neitzerts Vorgänger da nicht anders.

Baustelle in der Stadthalle …. und im Bauamt?

Da das undatierte Schreiben des damaligen Technischen Leiters der HVG direkt an das Bauamt adressiert und als konstruktiver Hinweis auf bestehende Missstände zu verstehen ist, gibt es keinen Grund, Kriegers Aussagen in Zweifel zu ziehen. Ebenso ist angesichts der Bedeutung und Tragweite des Inhalts davon auszugehen, dass die Mitarbeiterin das Schreiben nicht einfach abgetan, sondern ihrem Chef Günther Kauder vorgelegt hat. Welche Schlüsse der damalige HVG-Geschäftsführer und Bauamtsleiter daraus gezogen hat, ist nicht überliefert. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den vergangenen Wochen und Monaten und den aktuellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in der Causa Stadthalle drängt sich jedoch ein Verdacht auf: Es waren offenbar die falschen. Ein Anfangsverdacht besteht. Deshalb ist in der Causa Stadthalle aus einer „Anzeigensache“ ein Ermittlungsverfahren geworden.

Hintergrund: Die Causa Stadthalle

Seit Wochen und Monaten sorgt die Causa Stadthalle für Schlagzeilen. Bürgermeister Daniel Glöckner steht in der Kritik, weil er – wie sich inzwischen herausgestellt hat – die Öffentlichkeit hinsichtlich der gravierenden Brandschutzmängel belogen hat. Zudem hat er als Rathauschef die Entscheidung zu verantworten, die Stadthalle in diesem Wissen noch knapp ein Jahr vermutlich ohne Sicherheitseinschränkungen weiter betrieben zu haben.

Die Wurzel des Übels liegt indes weit vor Glöckners Amtszeit. Unter Berücksichtigung aller bislang bekannten Fakten lässt sich mit ziemlicher Sicherheit die Schlussfolgerung ziehen, dass die Brandschutzklappen in der Stadthalle entgegen eindeutiger gesetzlicher Vorschriften 35 Jahre lang nicht gewartet wurden.