KOMMENTAR von Matthias Boll (GNZ 24.02.2021) zu „Grünflächen weit unter Wert verkauft“
Skandal im Neubaugebiet? So titelte die GNZ bei ihrem ersten Bericht über den Verkauf öffentlicher Grünflächen im Mittlauer Weg. Das war im Mai 2019. Die jetzt öffentlich gewordene rechtliche Stellungnahme des HSGB offenbart, was die damaligen Entscheidungsträger um Bürgermeister Stolz und Bauamtsleiter und SEG-Chef Kauder stets bestritten haben: Es ist ein Skandal – um Kompetenzüberschreitungen von Stolz und seinem Magistrat, um Verfehlungen von Verantwortlichen und um einen hohen sechsstelligen Betrag, der nicht in die Stadtkasse floss. Skandalös ist aber auch, dass es bis zu dieser Erkenntnis 21 Monate dauern musste.
„Immense Vorteile“ habe der Verkauf der Grünflächen für die Stadt gehabt, hatte Landrat Stolz behauptet, als er sich im September 2020 letztmals in der politischen Debatte zu Wort gemeldet hatte. Pflegekosten seien dadurch reduziert, zusätzliche Einnahmen generiert worden. Ersteres ist angesichts des entstandenen Flickenteppichs stark zu bezweifeln, letzteres stimmt – ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Freilich hat die Stadt durch die Grünflächenverkäufe Geld eingenommen. 150 000 Euro. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das nur ein Bruchteil dessen ist, was die Grundstücke eigentlich wert sind, wie die Expertise des HSGB offenbart hat. Und wenn die Verkäufe ungehindert fortgesetzt worden wären – und das wären sie ohne Einschreiten der „Bürger für Gelnhausen“ –, hätten sich die entgangenen Mehreinnahmen sogar auf bis zu 2 Millionen Euro summieren können. Vor diesem Hintergrund klingt der Rechtfertigungsversuch von Stolz mit Verweis auf die „angespannte Finanzsituation“ der damaligen Schutzschirmkommune Gelnhausen geradezu grotesk. Derselben fast wortgleichen Argumentation wie Stolz bediente sich übrigens nur kurze Zeit später die SPD, als sie in einem Flugblatt die Anwohner des Neubaugebiets „neutral informieren“ wollte. Der rechtlichen Stellungnahme des HSGB ist es zu verdanken, dass diese und weitere „Erklärungsversuche“ von Stolz und seiner SPD nun endlich als das enttarnt sind, was sie sind: Schutzbehauptungen und Halbwahrheiten.
Der Skandal um Stolz, Kauder und Co. ist das eine – das andere ist der Umgang damit. Warum musste es annähernd zwei Jahre dauern, bis die Wahrheit über die unzulässigen Grünflächenverkäufe endlich ans Licht der Öffentlichkeit gelangte? Dafür ist zum einen die Koalition aus SPD und FDP verantwortlich zu machen. Ein Bündnis, das sich heimlich, still und leise in der Zeit gebildet hatte, als sich die Stolz-und-Kauder-Baustellen BImA-Klage, Stadthalle und Mittlauer Weg auftaten. Eine Allianz der Parteien des alten und des neuen Bürgermeisters, geschmiedet vornehmlich zu einem Zweck: Aufklärung zu verhindern. Im Fall Mittlauer Weg bedeutete das verleugnen und verharmlosen, verhindern und verzögern. Unrühmliche Höhepunkte waren die Verkürzung einer Stadtverordnetenversammlung, um das ihnen unliebsame Thema kurzerhand von der Tagesordnung zu nehmen, und die persönlichen Angriffe eines SPD-Stadtverordneten gegen Vertreter von CDU, BG und Grüne in einer weiteren Sitzung des Stadtparlaments.
Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch, dass die Sozialdemokraten selbst in Kenntnis der rechtlichen Stellungnahmen des HSGB der Öffentlichkeit weiterhin vorgaukeln wollten, dass die damaligen Verantwortlichen um ihren Parteifreund Stolz die Grundstücke keinesfalls zum Schleuderpreis verkauft hätten. Der Opposition aus CDU, BG und Grüne, die die Aufklärung der unzulässigen Grünflächenverkäufe entgegen aller Widerstände unermüdlich vorantrieben, unterstellte die SPD konsequenterweise, „sich in eine vermeintliche Causa Mittlauer Weg verrannt“ zu haben. Vor dem Hintergrund der nun öffentlich gewordenen HSGB-Expertise muss man feststellen: Verrannt hat sich einzig und alleine die SPD – in eine bedingungslose Verteidigung „ihres“ Landrats ohne Rücksicht auf Fakten und Verluste.
Stolz wiederum muss sich neben den Kompetenzüberschreitungen seines Magistrats und den entgangenen Mehreinnahmen für die Stadtkasse den Vorwurf gefallen lassen, nichts gegen die Verfehlungen seines Mitarbeiters unternommen zu haben. Denn dass der leitende Verwaltungsbeamte nicht an Vorlagen und Beschlüssen mitwirken durfte, die seinen Angehörigen betreffen, das müsste auch Stolz bewusst gewesen sein. Warum der damalige Bürgermeister ihn dennoch gewähren ließ und nicht einschritt, bleibt allein Stolz’ Geheimnis.
Zum anderen ist dafür Bürgermeister Glöckner verantwortlich zu machen, dessen Aufklärungswille in der ganzen Zeit irgendwo zwischen mangelhaft und nicht existent lag. Unvergessen ist sein Auftritt bei einem Ortstermin im Neubaugebiet im Juli 2019, als er die schon damals seit Wochen im Raum stehenden Fragen notierte und den Anwohnern versprach, Antworten zu liefern – auf einige warten sie noch heute. Seine größte Energie investierte Glöckner indes in die Geheimhaltung der HSGB-Stellungnahmen, die – wenn es nach seinem Willen gegangen wäre – noch immer tief unten in einer Schublade seines Schreibtisches schlummern würde. Aber mit welchem Recht enthält ein Bürgermeister Informationen von solcher Tragweite den Stadtverordneten und den Bürgern, die ihn gewählt haben, vor? Das von Glöckner bemühte „Mündlichkeitsprinzip“ scheint da nur ein Vorwand. Das Verwaltungsgericht Frankfurt wird jedenfalls nach einer Klage der Stadtverordneten über das (nicht nur in diesem Punkt) merkwürdige Amtsverständnis des Gelnhäuser Bürgermeisters zu befinden haben.
Was bedeutet das alles für das Neubaugebiet und seine Bewohner? Für diejenigen von ihnen, die auf ihrer lange vergeblichen Suche nach Antworten auf eine Mauer des Schweigens im Rathaus stießen, wird es sicherlich eine Genugtuung sein, dass die Wahrheit nun ans Licht gekommen ist und damit zumindest die Zeit des Leugnens und Ignorierens der Verantwortlichen vorüber sein dürfte. Vielleicht bringt es ja auch ein Stück weit ihren verloren gegangenen Glauben an so etwas wie Gerechtigkeit zurück. Andererseits ist eine Lösung des Dilemmas oder ein Interessenausgleich zwischen Bevorzugten und Benachteiligten weiterhin nicht in Sicht. Stolz und die SPD wiederum hatten all ihre Hoffnungen auf eine geräuschlose Heilung der Fehler der Vergangenheit durch eine nachträgliche Änderung des B-Plans gesetzt. Unterstützung erhielten sie dabei durch Stolz’ Kommunalaufsicht, die vehement darauf drängte, die unberechtigten Privatgärten zu legitimieren. Inwiefern dieses Drängen vor dem Hintergrund eines Interessenkonflikts des Landrats als ehemaliger Bürgermeister und vorgesetzte Aufsichtsbehörde disziplinarrechtliche Folgen haben könnte, untersucht derzeit das Regierungspräsidium Darmstadt. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Änderung des B-Plans in den Augen des HSGB zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Option dargestellt hat.