Grünflächen weit unter Wert verkauft

Mittlauer Weg: Stadt hat auf Mehreinnahmen von bis zu 705000 Euro verzichtet

Von Matthias Boll GNZ 24.02.2021

Die Stadt Gelnhausen hat die öffentlichen Grünflächen im Neubaugebiet „Mittlauer Weg“ weit unter Wert verkauft und so auf Mehreinnahmen zwischen 628 000 und 705 000 Euro verzichtet. Das geht aus einer rechtlichen Stellungnahme des Hessischen Städte- und Gemeindebundes hervor. Wären die Grünflächenverkäufe nicht vorzeitig gestoppt worden, hätte sich der entgangene Mehrerlös am Ende sogar auf 1,8 bis 2 Millionen Euro summiert. Weiterhin stellt der HSGB fest, dass sich einer der damaligen Verantwortlichen mindestens eines, wenn nicht gar mehrfacher Dienstvergehen schuldig gemacht hat.

„Die grundsätzliche Entscheidung über den Verkauf der Grünflächen zu einem bestimmten festzulegenden Quadratmeterpreis hätte von der Stadtverordnetenversammlung getroffen werden müssen.“ Das ist die eindeutige Antwort des HSGB auf eine der zentralen Fragen in der Causa Mittlauer Weg. Der Magistrat war also nicht berechtigt gewesen, über den Verkauf von 12 940 Quadratmetern öffentlicher Grünfläche im Meerholzer Neubaugebiet zu entscheiden. Zentraler Punkt in der Argumentation der Juristen ist die Festlegung des Grundstückspreises, die für die Stadt eine „erhebliche wirtschaftliche Bedeutung“ habe. Deshalb sei nicht der Magistrat, sondern die Stadtverordnetenversammlung als oberstes Organ zuständig. Zuvor hätte zudem noch der Ortsbeirat angehört werden müssen.

Magistrat hat seine Kompetenzen überschritten

Der Magistrat mit dem damaligen Bürgermeister und heutigen Landrat Thorsten Stolz (SPD) an der Spitze hat bei seiner Entscheidung im Januar 2016 aber nicht nur seine Kompetenzen überschritten, sondern auch auf viel Geld für die Stadt verzichtet. Der Interessenverband der Kommunen lässt in seiner rechtlichen Stellungnahme keinen Zweifel daran, dass der Kaufpreis von 38,50 Euro pro Quadratmeter (ebenso wie die zunächst von der SEG vorgeschlagenen 60 Euro pro Quadratmeter) deutlich unter dem tatsächlichen Wert der Grundstücke liegt und daher dem Grundsatz einer sparsamen Haushaltsführung widerspricht. So wären die Grünflächen „bereits mit dem Verkauf des jeweiligen Baugrundstücks als Teil des Baugrundstücks in Form nicht überbaubarer Bauflächen und damit zum regulären Baulandpreis von 200 Euro beziehungsweise 220 Euro pro Quadratmeter zu verkaufen gewesen“, schreiben die Juristen. Hätte die Stadt das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachtet und von Beginn an entsprechend geplant, hätte sie beim bislang vollzogenen Verkauf von knapp 3 900 Quadratmetern Grünfläche nicht nur rund 150 000 Euro eingenommen, sondern ein Vielfaches davon.

Auch das mehrfach von Stolz und seiner SPD angeführte Argument, die Privatbesitzer hätten „kein billiges Bauland“ erworben, ändert in den Augen des HSGB nichts daran, dass die Grundstücke weit unter Wert verkauft wurden. Denn wann beziehungsweise ob der Eigentümer überhaupt das ursprüngliche Baugrundstück mit der erworbenen Grünfläche vereinigt und somit eine vereinbarte Nachzahlungsklausel greift, darauf hat die Stadt keinen Einfluss. Diese Unbekannte ist auch der Grund, warum sich der entstandene wirtschaftliche Schaden derzeit nicht exakt beziffern lässt.

Der HSGB stellt weiterhin fest, dass sich ein damaliger leitender Verwaltungsbeamter mindestens eines Dienstvergehens schuldig gemacht hat. Hintergrund ist ein Interessenkonflikt, da ein Käufer der öffentlichen Grünflächen ein Angehöriger des Beamten war. Deshalb hätte dieser weder am Grundsatzbeschluss über den Grundstückspreis noch beim Beschluss über den Verkauf an den Angehörigen noch an der entsprechenden Verwaltungsvorlage mitwirken dürfen, urteilen die Juristen.

Strafbarkeit lässt sich nur in Ermittlungsverfahren prüfen

„Die Mitwirkung des Betroffenen an der Vorbereitung, den Vertragsabschlüssen, an dem Verwaltungsverfahren sowie an den Beschlüssen der SEG stellt, soweit es Angehörige sowie den Grundsatzbeschluss betrifft, eine Dienstpflichtverletzung dar“, schreiben die Juristen. Möglicherweise nicht der einzige Verstoß des inzwischen pensionierten leitenden Verwaltungsbeamten. Auch eine mögliche Mitwirkung an der unzulässigen Regelung in den Kaufverträgen, dass eine Einfriedung um die öffentliche Fläche sowie das ursprüngliche Baugrundstück zulässig ist, könnte eine Dienstpflichtverletzung darstellen. Zudem könnte er den Magistrat nicht über Einzelheiten der Vertragsmodalitäten in Kenntnis gesetzt haben, worin eine dritte Dienstpflichtverletzung begründet sein könnte. Beide Punkte konnte der HSGB anhand der vorgelegten Informationen nicht abschließend klären.

Dasselbe gilt für mögliche Dienstpflichtverletzungen des damaligen Bürgermeisters und seines Magistrats. „Dies müsste durch den jeweiligen Vorgesetzten ermittelt werden“, so der HSGB. Im Falle von Thorsten Stolz wäre dies das Regierungspräsidium Darmstadt, das nach Recherchen der GNZ auf Antrag des Landrats im November 2020 ohnehin ein Prüfungsverfahren gegen Stolz in der Causa Mittlauer Weg eingeleitet hat. Die Untersuchungen dauern an, wie eine Anfrage beim RP ergab. „Details zum laufenden Dienstaufsichtsverfahren können aus dienstrechtlichen Gründen nicht mitgeteilt werden“, erklärte ein Sprecher der Oberen Aufsichtsbehörde.

Im Falle des ehemaligen leitenden Verwaltungsbeamten und der ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats ist Bürgermeister Daniel Glöckner (FDP) zuständig. Ob er ein Disziplinarverfahren gegen ehemalige oder aktive Bedienstete der Stadt eingeleitet hat, wollte Glöckner trotz mehrfacher Anfrage bislang nicht verraten. Sollte der Rathauschef nichts in dieser Angelegenheit unternommen haben, könnte er sich selbst eines Dienstvergehens schuldig gemacht haben, wenn er bei entsprechenden Anhaltspunkten nicht von Amts wegen Disziplinarverfahren eingeleitet hat. Das wiederum wäre von der Kommunalaufsicht des Main-Kinzig-Kreises zu untersuchen.

Nicht abschließend beantworten kann der HSGB die Frage nach möglichen Schadenersatzansprüchen gegen die damaligen Verantwortungsträger: „Ob beziehungsweise inwieweit die Einfriedungen der öffentlichen Grünflächen nicht wertentsprechend veräußert wurden und dadurch ein Schaden entstanden ist, könnte letztlich nur gutachterlich festgestellt werden.“

Ebenso unklar bleibt in der rechtlichen Stellungnahme, ob sich ein Beteiligter der Untreue schuldig gemacht haben könnte. „Die Prüfung der Strafbarkeit der Magistratsmitglieder und des leitenden Verwaltungsbeamten kann nur im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens geleistet werden“, verweisen die Juristen aus Mühlheim auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft.

Folgen für die Wirksamkeit der Kaufverträge haben laut HSGB indes weder die Kompetenzüberschreitung des Magistrats noch das verbotene Mitwirken des leitenden Verwaltungsbeamten an entsprechenden Beschlüssen. Auch verstößt die Regelung über die Zulässigkeit einer Einfriedung zwar gegen die Festsetzung im B-Plan, führt aber ebenfalls nicht zur Nichtigkeit der Verträge. Eine solche Vereinbarung „würde die Untere Baubehörde nicht daran hindern, die Beseitigung der Einfriedung im Bereich der öffentlichen Grünflächen zu fordern und durchzusetzen“, wie die Juristen betonen, da es ihr obliege, für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu sorgen. In der Realität sieht das etwas anders aus: Die beim Kreis angesiedelte Behörde hat zu keinem Zeitpunkt, weder nach einer Beschwerde der „Bürger für Gelnhausen“ noch nach Hinweisen von Anwohnern, etwas in diese Richtung unternommen und das mit der angeblichen Zuständigkeit der Stadt begründet.

Forderung des Kreises ist für HSGB nicht nachvollziehbar

Stattdessen hat die Kommunalaufsicht des Main-Kinzig-Kreises, die qua Amt der Landrat ist, die Stadt mehrfach dazu aufgefordert, die in Aussicht gestellte 2. Änderung des B-Plans auf den Weg zu bringen und die öffentlichen Flächen in Privatgärten umzuwidmen. Eine Forderung, die der HSGB nicht nachvollziehen kann. Städtebauliche Zielsetzungen zu formulieren, sei zum einen ausschließlich Sache der Gemeinde. Zum anderen stelle sich die Frage, weshalb und inwiefern sich die ursprüngliche planerische Konzeption der Stadt – öffentliche Grünflächen als Naherholungsflächen – seit der erstmaligen Beschlussfassung geändert haben sollte. „Nicht allein maßgeblich dürfte daher der Wunsch mancher Baugrundstückseigentümer sein, ihre Grundstücke in private Grünflächen ändern zu können“, macht der Verband der hessischen Kommunen deutlich. Der Forderung des Main-Kinzig-Kreises erteilt der HSGB damit jedenfalls eine klare Absage. Grundsätzlich sehen die Juristen „zunächst keinen Anlass, den derzeitig bestehenden Bebauungsplan zu ändern“.