Fragwürdiger Mut zur Lücke im Ausschuß

„Wichtige Bestandteile fehlen“ – CDU, BG und Grüne beklagen, dass offenbar nicht alle im Akteneinsichtsausschuss zusammengestellten Unterlagen an den HSGB weitergegeben wurden. GNZ 06.08.2020 von Matthias Boll

Gelnhausen-Meerholz. Der Akteneinsichtsausschuss „Mittlauer Weg“ wartet derzeit auf eine Stellungnahme des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, der um eine juristische Einschätzung der Sachlage rund um die Vergabe öffentlicher Grünflächen an Privatleute im Meerholzer Neubaugebiet gebeten worden war. So berichtete es Kolja Saß (FDP), der Vorsitzende des Gremiums, im GNZ-Interview am 4. Juli. Daran hat sich auch einen Monat später nichts geändert, der Akteneinsichtsausschuss befindet sich weiterhin im Wartestand. Aber lohnt sich dieses Warten auf den HSGB auch? Fünf der insgesamt zehn Ausschussmitglieder würden diese Frage klar verneinen. Im Redaktionsgespräch erklären die Vertreter von CDU, BG und Grünen warum. Dabei werfen ihre Aussagen zum einen abermals kein gutes Licht auf die Verantwortlichen der Stadt und ihren Willen zur Aufarbeitung der Vorgänge im „Mittlauer Weg“. Zum anderen offenbaren sie, dass sich nicht nur im Neubaugebiet tiefe Gräben aufgetan haben. Von einer „zu jedem Zeitpunkt sehr konstruktiven Zusammenarbeit“, wie es der Vorsitzende Saß glauben machen wollte, scheint der Akteneinsichtsausschuss jedenfalls so weit entfernt zu sein wie die Stadt von einer einvernehmlichen Lösung mit den Anwohnern.

Einmal mehr waren es Aussagen des Vorsitzenden Kolja Saß, die im Akteneinsichtsausschuss auf Widerspruch stießen. Diesmal ließen es Vertreter von CDU, BG und Grünen jedoch nicht bei einer Stellungnahme bewenden, sondern wandten sich an die GNZ mit der Bitte um ein Redaktionsgespräch. Darin widersprachen Petra Schott-Pfeifer (CDU), Frank Bayer (CDU), Bodo Delhey (BG), Jochen Zahn (BG) und Uwe Leinhaas (Grüne) zum einen Aussagen von Saß, zum anderen beklagten sie die schwierigen Rahmenbedingungen ihrer ehrenamtlichen Arbeit, eine ebenso schwierige Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums und die teilweise fragwürdige Umsetzung von Beschlüssen.

Petra Schott-Pfeifer widersprach zunächst der Aussage von Saß, dass alle Daten erhoben seien, und berichtete in diesem Kontext von einer „unwürdigen Magistratssitzung“ im Februar. Da diverse eingesehene Akten lückenhaft gewesen seien, habe der Akteneinsichtsausschuss den Magistrat dazu befragen wollen und einen entsprechenden Fragenkatalog vorbereitet. Aber statt seiner Verpflichtung nachzukommen, habe das Gremium munter darüber diskutiert, ob es die Fragen überhaupt beantworten müsse. Teile des Magistrats hätten das nicht gewollt und daraufhin demonstrativ die Sitzung verlassen. Dabei seien die Fragen offen und völlig harmlos gewesen, so Schott-Pfeifer. Angesichts der plötzlichen Emotionalität habe man sich schließlich auf eine schriftliche Beantwortung eingelassen. „Mittlerweile“, ergänzte Uwe Leinhaas, „sollen unsere Fragen jetzt doch wieder mündlich beantwortet werden“. Das würde bedeuten, dass der Bürgermeister oder ein anderes Mitglied des Magistrats dem Akteneinsichtsausschuss die schriftlich formulierten Antworten in einer Sitzung vorliest. Diese sollen den Mitgliedern aber nicht zur Verfügung gestellt werden. Eine entsprechende Bitte habe der Magistrat abgelehnt, berichtete Bodo Delhey.

Mehr als fünf Monate sind seitdem vergangen. Antworten auf seine Fragen hat der Akteneinsichtsausschuss bislang nicht bekommen. Völlig ungewiss ist auch, wann diese Magistratssitzung stattfinden wird. Dabei sollten die Antworten auf den Fragenkatalog eigentlich Teil der Unterlagen sein, die an den HSGB gesendet werden. Eigentlich – und damit waren die Vertreter von CDU, BG und Grünen bei ihrem zweiten Problem.

„Kein neutrales Bild möglich“

„Die zusammengestellten Unterlagen wurden an den HSGB geschickt, ohne uns darüber zu informieren“, beklagte Leinhaas. Auf seine Anfrage, welche Daten und Dokumente konkret verschickt worden seien, habe er zwei Wochen lang weder vom Vorsitzenden Saß noch von Bürgermeister Glöckner eine Antwort erhalten. Erst nach einer erneuten Nachfrage habe der Rathauschef den Mitgliedern die Unterlagen per Mail übersandt.

Und damit waren CDU, BG und Grüne bei ihrem dritten Problem, dem Kernproblem: Offenbar wurden nicht alle im Akteneinsichtsausschuss zusammengestellten Unterlagen an den HSGB weitergegeben. „Wesentliche Bestandteile fehlen“, monierte Jochen Zahn. So sei zum Beispiel nur eines von zwei rechtlichen Gutachten weitergeleitet worden. In diesem ersten Gutachten heiße es, dass die Stadt natürlich öffentliche Grünflächen an Privatbesitzer verpachten könne, ergänzte Leinhaas. Ein halbes Jahr später folgte eine nicht ganz unwesentliche Ergänzung in Form eines zweiten Gutachtens. Darin heißt es Leinhaas zufolge sinngemäß: „Wenn die öffentlichen Grünflächen eingezäunt werden, dann sind sie nicht mehr öffentlich. Das geht natürlich nicht.“ Dieses zweite Gutachten sei dem HSGB vorenthalten worden. „Da nicht alle Beweismittel zur Verfügung gestellt wurden, ist auch kein neutrales Bild möglich“, schlussfolgerte Zahn. Auf die naheliegende Frage, wer die Auswahl der Unterlagen vorgenommen hat, haben die Mitglieder des Akteneinsichtsausschusses bislang keine Antwort erhalten. „Alles Wichtige fehlt“, kritisierte Leinhaas. „Es gibt noch nicht einmal ein Anschreiben mit einem Auftrag an den HSGB. Was eigentlich genau beurteilt werden soll, das weiß kein Mensch.“

Nachdem Karl-Christian Schelzke, der geschäftsführende Direktor des HSGB, als Berater beziehungsweise Rechtsanwalt des Bürgermeisters aufgetreten sei, hätten sich die Vertreter von CDU, BG und Grünen ohnehin eine Expertise von einer anderen Stelle gewünscht, wie Frank Bayer ausführte. Angesichts einer solchen Interessenskollision sei nämlich zu befürchten, dass der HSGB die Fragen nicht ganz unvoreingenommen beantworten könnte. Deshalb hätten sie sich stattdessen die Beauftragung eines spezialisierten Rechtsanwalts gewünscht. Damit konnten sie sich im Ausschuss jedoch nicht durchsetzen. Ein entsprechender Antrag für die Stadtverordnetenversammlung fiel der Corona-Pandemie zum Opfer und wurde bislang nicht beraten. „Wir haben unseren Segen für eine Übergabe der Unterlagen an den HSGB jedenfalls nicht gegeben“, betonte Bayer. „Wir haben auch nicht gesagt, schickt die Unterlagen, die ja noch nicht vollständig sind, jetzt an den HSGB. Was soll denn dabei herauskommen?“

„Es gibt keine Zusammenarbeit“

Stellt sich noch die Frage nach der von Saß beschworenen „sehr konstruktiven Zusammenarbeit“. Leinhaas: „Es gibt keine Zusammenarbeit im Akteneinsichtsausschuss. Oder besser gesagt, wir fünf arbeiten gut zusammen, während die SPD mit der Suche nach alternativen Fakten versucht, das zu widerlegen, was wir zusammengetragen haben. Die Faktenlage ist jedoch erdrückend.“ Es gebe keinen Zweifel daran, dass der Magistrat nicht dazu befugt gewesen sei, über die Vergabe von knapp 13 000 Quadratmetern öffentlicher Grünfläche zu entscheiden. „Gewisse Entscheidungsgrenzen wurden überschritten“, stellte Frank Bayer fest.

Mediationsverfahren anstoßen

Ins Detail dürfen die Mitglieder des nicht öffentlich tagenden Gremiums an dieser Stelle freilich nicht gehen. Ihre Erkenntnisse sollen in den Abschlussbericht des Akteneinsichtsausschusses fließen. Angesichts der erheblichen Meinungsdifferenzen zwischen SPD/FDP auf der einen und CDU, BG und Grünen auf der anderen Seite ist es derzeit nur schwer vorstellbar, dass sich das Gremium auf einen einheitlichen Abschlussbericht einigen wird. Was bei einem Patt passiert – beide Seiten haben fünf Stimmen –, ist noch nicht final geklärt. Möglicherweise könnte es am Ende zwei Versionen des Berichts geben.

Die Lage im Akteneinsichtsausschuss ist also ähnlich vertrackt wie im Meerholzer Neubaugebiet selbst. Wohin das Ganze führt, vermögen Schott-Pfeifer, Bayer, Delhey, Zahn und Leinhaas derzeit nicht zu sagen. Eine juristische Überprüfung schlossen sie auf Nachfrage zumindest nicht aus. „Wir befinden uns diesbezüglich noch in der Beratungsphase“, erklärte Bayer. Ein solcher Schritt komme jedoch nur infrage, wenn das im Interesse der Anwohner geschehe und man sich deren Rückhalt sicher sein könne. „Das ist nämlich das Schlimmste an der ganzen Sache: Dass man die Leute dort in eine solche Situation gebracht hat und es viele Menschen gibt, die kreuzunglücklich sind.“ Deshalb wollen CDU, BG und Grüne auch ein Mediationsverfahren im „Mittlauer Weg“ anstoßen, an dem die Bewohner und die Stadt teilnehmen sollen. Auch dieser zweite Punkt des Antrags zum „Mittlauer Weg“ wurde bislang coronabedingt noch nicht behandelt. „Der Umgang mit diesem Konflikt hat eigentlich zwei Ebenen“, fasste Delhey zusammen. „Erstens müssen wir schauen, wie wir das Ganze sachlich regeln. Zweitens muss geprüft werden, ob man die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen kann.“