Immer wieder haben die Bürger für Gelnhausen nachgefragt, wie es zu den unhaltbaren Zuständen im Mittlauer Weg und in der Stadthalle kommen konnte. Bürgermeister Glökner hat jedoch jedwede Auskunft als auch Aufklärungswillen verweigert. Über seine Gründe kann man nur spekulieren…..
Mattias Boll in der GNZ am 16.11.2019.
Die Causa Stadthalle nimmt rasant an Fahrt auf: Während ein Experte die Brandschutzmängel als „sehr gravierend“ einstuft, hat Michael Neitzert die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Preisfrage: Was haben die Stadthalle und der Mittlauer Weg gemeinsam? Also mal abgesehen davon, dass diese beiden Themen schon seit Wochen beziehungsweise Monaten die Schlagzeilen in Gelnhausen bestimmen. Auf den ersten Blick nicht viel. Schaut man jedoch genauer hin, gibt es trotz der großen thematischen Unterschiede unverkennbare Parallelen: Beide Probleme haben ihren Ursprung weit vor der Amtszeit von Bürgermeister Daniel Glöckner (FDP) genommen. Er könnte sich also eigentlich entspannt zurücklehnen und sagen: Da ist damals etwas schief gelaufen, das müssen wir aufklären. Aber solch einen souveränen Umgang lässt der aktuelle Rathauschef vollkommen vermissen. Aufklärungswille? Nicht vorhanden, warum auch immer. Der Bürgermeister schweigt und mauert. Und weil er so agiert, wie er agiert, sind die Geister aus der Vergangenheit zu Schreckgespenstern der Gegenwart geworden – und die Stadthalle und der Mittlauer Weg damit längst zu Glöckners Problemen. Die Wurzel beider Übel ist indes an einer anderen Stelle zu suchen. Damit wären wir bei einer weiteren Parallele: Beide Themen liegen im Verantwortungsbereich des langjährigen ehemaligen Bauamtsleiters Günther Kauder. Und während im Meerholzer Neubaugebiet derzeit eine gewisse Stagnation eingekehrt ist, die wohl andauern wird, bis der Akteneinsichtsausschuss zu einem Ergebnis gekommen ist, nimmt die Causa Stadthalle rasant an Fahrt auf. Dabei geraten Glöckner und Kauder zunehmend unter Druck, nicht zuletzt weil Michael Neitzert inzwischen die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hat.
Versuch einer Bestandsaufnahme und Analyse.
Wie sich herausgestellt hat, war das vom Bürgermeister präsentierte „TÜV-Gutachten“ gar kein solches, sondern lediglich ein „Begehungsprotokoll zur Prüfung von Brandschutzklappen“, angefertigt von einem Sachverständigen für eine Fachfirma. War diese falsche Bezeichnung ein Missverständnis? Vielleicht. Unmissverständlich ist hingegen eine Aussage, die der Bürgermeister öffentlich getroffen hat: „Wenn nur eine Brandschutzklappe defekt gewesen wäre, dann hätte der TÜV-Bericht das ausgesagt und die Nutzung der Halle vermutlich sofort untersagt“ (GNZ vom 28. September). Das war nachweislich eine Lüge. Wie aus dem Begehungsprotokoll hervorgeht, waren Brandschutzklappen defekt, und zwar nicht nur eine. Das bestätigt auch ein Diplom-Brandschutz-Sachverständiger, den die GNZ um eine Expertise gebeten hat. Der Fachmann, der unter anderem für den TÜV als Ausbilder arbeitet und daher aus Neutralitätsgründen namentlich nicht genannt werden will, geht sogar davon aus, „dass 95 Prozent der beanstandeten Brandschutzklappen im Ernstfall nicht funktioniert hätten“.
Brandschutz-Experte hätte das Gefahrenabwehrzentrum eingeschaltet
Auch Glöckners Aussage, dass in der Stadthalle „keine Gefahr im Verzug war“, ist angesichts der Vielzahl defekter Brandschutzklappen zu hinterfragen. Wenn er die Untersuchung durchgeführt und die Mängel so wie beschrieben vorgefunden hätte, erklärt der Brandschutz-Sachverständige im Gespräch mit der GNZ, dann hätte er das Gefahrenabwehrzentrum des Main-Kinzig-Kreises eingeschaltet und zumindest eine eingeschränkte Nutzung empfohlen. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Stadt in irgendeiner Form auf den Bericht des Sachverständigen von Juli 2018 reagiert und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für Veranstaltungen in der Stadthalle getroffen hat, zumindest hat der Bürgermeister das nicht kommuniziert. Eine entsprechende Nachfrage im Rathaus blieb unbeantwortet. „Ich werde wegen einer Strafanzeige gegen den Bürgermeister – wie Ihnen sicherlich bekannt sein könnte – derzeit keine weiteren Aussagen zu diesen Vorgängen machen“, teilte Glöckner gestern auf eine Anfrage vom Mittwoch mit.
„Keine Revisionsklappen vorzusehen ist ein grober Fehler“
Wir fassen zusammen: Glöckner hat die Öffentlichkeit hinsichtlich der gravierenden Brandschutzmängel belogen. Zudem hat er als Bürgermeister die Entscheidung zu verantworten, die Stadthalle in diesem Wissen noch knapp ein Jahr vermutlich ohne Sicherheitseinschränkungen weiter betrieben zu haben und damit möglicherweise eine Gefährdung von Menschen in Kauf genommen zu haben. Ist das strafrechtlich relevant? Das ist ungewiss. In Michael Neitzerts Augen ist es das. Der ehemalige Technische Leiter der städtischen Hallen- und Veranstaltungsgesellschaft (HVG) hat in der Causa Stadthalle Strafanzeige gestellt. Das bestätigte Dominik Mies, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hanau, auf Anfrage. Weitere Angaben zu Personen oder den konkreten Vorwürfen wollte der Oberstaatsanwalt gestern vor einer sorgfältigen Prüfung der Angelegenheit indes noch nicht machen. Auch Neitzert wollte sich gestern auf Anfrage vorerst nicht weitergehend äußern. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse in diesem Fall liegt jedoch auf der Hand, gegen wen sich die Strafanzeige richtet: gegen Glöckner, wie dieser gestern auch selbst freimütig mitteilte, und gegen Kauder.
Neitzert war es auch, der in der Causa Stadthalle den Stein ins Rollen gebracht hat, indem er im April 2019 zwei Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Kauder einreichte und dem langjährigen Bauamtsleiter unter anderem schwere Versäumnisse im Bereich des Brandschutzes in der Stadthalle unterstellte. Ein zentraler Vorwurf: Die Brandschutzklappen, die im Ernstfall verhindern sollen, dass die hochgefährlichen Rauchgase von einem Brandabschnitt in den nächsten gelangen, seien über Jahrzehnte nicht gewartet, die gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen Prüfungen nicht durchgeführt worden – und das seit 35 Jahren. Anschuldigungen, die zunächst einmal abenteuerlich klingen, zumal man Neitzert in dieser Angelegenheit freilich unterstellen muss, nicht ganz unbefangen zu sein.
Wie sich aber nun immer mehr herauskristallisiert, sind seine Vorwürfe wohl traurige Realität. Das legt insbesondere das bereits erwähnte Begehungsprotokoll nahe, in dem es heißt: „Zur Begehung lag kein Prüfbericht vor. So wie der Zustand der Anlagen bezüglich der Brandschutzanforderungen vorgefunden wurde, scheint nie eine Prüfung diesbezüglich stattgefunden zu haben.“ Auch die Art der darin beschriebenen Mängel lassen darauf schließen. Schwer vorstellbar, dass bei einer jährlichen Prüfung erst 35 Jahre nach dem Bau der Stadthalle auffällt, dass eine Vielzahl der Klappen falsch eingebaut wurde oder keine Zulassung hat.
Diese These bestätigt der von der GNZ befragte Brandschutz-Sachverständige und macht noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Ein Teil der Klappen war bei der Begehung am 23. Juli 2018 nicht zugänglich und wurde erst am 28. August 2019 unter die Lupe genommen. „Wenn die Brandschutzklappen nicht zugänglich waren, konnten sie auch nicht jährlich gewartet werden. Keine Revisionsklappen vorzusehen ist ein grober Fehler“, so der Experte. Sein Fazit nach Begutachtung des von Glöckner vorgelegten Berichts fällt eindeutig aus: „Die angeführten Brandschutzmängel sind sehr gravierend.“
Unter Berücksichtigung aller bekannten Fakten lässt sich also mit ziemlicher Sicherheit die Schlussfolgerung ziehen, dass die Brandschutzklappen in der Stadthalle entgegen eindeutiger gesetzlicher Vorschriften 35 Jahre lang nicht gewartet wurden. An dieser Stelle stellen sich in erster Linie zwei Fragen: Welche Folgen hatten diese jahrzehntelangen gravierenden Versäumnisse zum einen für die Sicherheit, zum anderen in finanzieller Hinsicht für die Stadt? Beide Punkte sind sicherlich nicht einfach zu beantworten. Bei einer jährlichen Überprüfung wären falsch eingebaute, nicht zugelassene oder anderweitig fehlerhafte Brandschutzklappen aufgefallen, und sie hätten sukzessive und minimalinvasiv ausgetauscht werden können. Stattdessen muss nun aufgrund der Dimension der Brandschutzmängel ganz erheblich in die Substanz des Gebäudes eingegriffen werden. Damit entfällt der Bestandsschutz, und die komplette Stadthalle muss auf den heutigen Sicherheitsstand gebracht werden. Und das dürfte teuer werden. Wie teuer? Das weiß, wenn überhaupt, nur der Bürgermeister. Eine entsprechende Nachfrage im Rathaus brachte indes keine neuen Erkenntnisse. „Eine weitere Bezifferung kann erst nach Erhalt aller Gutachten aufgezeigt werden“, teilte Glöckner mit. Sicher scheint nur, dass die ursprünglich angesetzten Kosten von 850 000 Euro wohl deutlich steigen werden.
Die Antwort kann nur die Staatsanwaltschaft geben
Noch schwieriger ist die Frage nach der Sicherheit zu beantworten. Brandschutzklappen können im Ernstfall eine lebensrettende Funktion haben. Nicht umsonst schreibt der Gesetzgeber daher vor, dass sie einmal im Jahr auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft werden müssen. Wird das unterlassen, verlieren die Klappen ihre bauaufsichtliche Zulassung. Das wiederum hat Folgen für den Versicherungsschutz.
Die Brandschutzklappen sollen die Ausbreitung von Feuer und Rauch verhindern, in dem sie sich im Brandfall automatisch schließen. Sind sie defekt, können sie das, logischerweise, nicht. Daher ist es unstrittig, dass die 35 Jahre lang unterlassenen Prüfungen Auswirkungen auf die Sicherheit in der Stadthalle hatten. Wie massiv diese Beeinträchtigung war und wie konkret die Besucher dadurch gefährdet waren, lässt sich indes nur schwer beantworten. Zum Glück, ist man an dieser Stelle geneigt zu sagen.
An die Folgen der Versäumnisse anschließend, bleibt noch eine Frage: die der Verantwortlichkeiten. Und an dieser Stelle kommt Günther Kauder ins Spiel. Am langjährigen ehemaligen Bauamtsleiter der Stadt und HVG-Geschäftsführer geht in dieser Frage kein Weg vorbei. Denn über Jahrzehnte zählten die Stadthalle sowie die weiteren Hallen der Stadt zum originären Verantwortungsbereich Kauders. Über ihm gab es nur noch den Bürgermeister – zuerst Jürgen Michaelis, danach von 2006 bis 2017 Thorsten Stolz und zuletzt Daniel Glöckner – sowie zeitweise den Ersten Stadtrat, die als Kauders Vorgesetzte ebenfalls für dessen Versäumnisse und deren Folgen zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Aber sind diese Verfehlungen Kauders strafrechtlich relevant? Auch das ist wie im Fall Glöckner zunächst einmal ungewiss. Die Antwort kann nur die Staatsanwaltschaft geben. Sie muss nun die Sachlage prüfen und entscheiden, ob ein hinreichender Anfangsverdacht besteht und daher ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.
Eine bemerkenswerte Aussage des Bürgermeisters
Unabhängig davon ist auch der HVG-Aufsichtsrat in Sachen Stadthalle tätig geworden. Was das Gremium genau untersucht, zu welchen Erkenntnissen es bislang gekommen ist und wie dessen nächste Schritte aussehen, ist indes nicht bekannt. Auf Anfrage verwies der Bürgermeister zunächst darauf, dass der HVG-Aufsichtsrat „eine selbstständige juristische Person ist und nicht-öffentlich tagt“, und teilte dann mit: „Der Aufsichtsrat befasst sich mit den Vorgängen in der Vergangenheit. Dort, wo Defizite identifiziert werden konnten, muss nachgebessert werden. Je nach Entwicklungsstand werden diese in der nächsten Sitzung beschlossen.“ Natürlich tagt der HVG-Aufsichtsrat nicht-öffentlich. Das bedeutet aber freilich nicht, dass der Bürgermeister und Vorsitzende dieses Gremiums nicht durchaus Ergebnisse aus diesen Sitzungen nach außen kommunizieren dürfte, wenn sie von öffentlichem Interesse sind. Zumindest auf einen angesprochenen möglichen Interessenskonflikt zwischen dem Amt des Rathauschefs auf der einen und dem Vorsitz im HVG-Aufsichtsrat auf der anderen Seite reagierte Glöckner inhaltlich: „Ganz im Gegenteil, sowohl der Bürgermeister als auch der Aufsichtsratsvorsitzende haben ja die gleichen Aufklärungsinteressen über diese Vorgänge, die alle vor Glöckners Amtsübernahme am 15. November 2017 liegen.“ Eine vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse zumindest bemerkenswerte Aussage.