Polituren von Matthias Boll GNZ 13.03.2021
Da hat der Hessische Städte- und Gemeindebund ja mal sowas von kräftig danebengelegen! Eindrucksvoll hat der Gelnhäuser Magistrat in seiner Stellungnahme den Beweis geführt, dass er die öffentlichen Grünflächen im Neubaugebiet Mittlauer Weg in Meerholz mitnichten weit unter Wert verkauft hat. Aber wie konnte den Juristen aus Mühlheim in ihrer „Expertise“ ein solch gravierender Fehler unterlaufen? Wie konnten gleich vier (!) angebliche Fachleute ihre Thesen und Erkenntnisse zwar anhand von Gesetzestexten und aktuellen Beispielen der Rechtsprechung herleiten, zugleich aber allesamt die Augen vor dem Offensichtlichen verschließen? Die selbst ernannten Experten haben bei ihrer juristischen Einschätzung nämlich zwei ebenso grundlegende wie gewichtige Argumente des damaligen Magistrats komplett außer Acht gelassen. Erstens: „Das haben wir schon immer so gemacht!“. Und zweitens (aber nicht minder gewichtig): „Das ist halt so, basta!“.
Aus unerfindlichen Gründen haben diese beiden elementaren Leitmotive des politischen Handelns in Gelnhausen aber offenbar keine Berücksichtigung in der rechtlichen Stellungnahme des HSGB gefunden. Alleine dem Magistrat und seinem selbstlosen Einsatz für Wahrheit und Gerechtigkeit ist es zu verdanken, dass dieser folgenschwere Irrtum nun aufgedeckt wurde. Plötzlich erscheint auch das seltsame Gebaren des Bürgermeisters in einem ganz anderen Licht. Glöckner ging es in all der Zeit nie darum, der Öffentlichkeit etwas vorzuenthalten, geschweige denn etwas zu verheimlichen oder gar zu vertuschen. Er hatte einfach nur frühzeitig erkannt, dass die HSGB-Expertise, sagen wir mal, nicht zielführend für die Stadt ist.
Eigentlich hätte die schlüssige Argumentation des Magistrats keines weiteren Beweises bedurft. Aber es kann ja nicht schaden, noch ein weiteres Gutachten zum Wert der öffentlichen, aber nicht zugänglichen Grünflächen einzuholen. Damit soll der „Gutachterausschuss des Main-Kinzig-Kreises“ betraut werden. Vorsitzender des Gremiums ist übrigens ein gewisser Thorsten Stolz – nein, das war nur ein schlechter Scherz. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass dieses weitere Gutachten für den Magistrat freundlicher ausfallen wird. Und falls nicht, gibt es ja immer noch weitere Gutachter, die man im Zweifelsfall bemühen könnte.
Apropos Thorsten Stolz. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, aber ich hatte nach dem Lesen seiner persönlichen Erklärung fast Tränen in den Augen. Was haben CDU, BG und Grüne dem armen Landrat doch so böse mitgespielt! Der ist aus allen Wolken gefallen, als er zufällig von der Strafanzeige und der Dienstaufsichtsbeschwerde der drei Fraktionen gegen sich erfuhr. Diese elenden Denunzianten! Mir erschließt sich allerdings nicht ganz, wieso Stolz so überrascht und empört war. Immerhin untersucht das Regierungspräsidium Darmstadt auf Antrag des Landrats ohnehin schon seit November 2020 die Rolle von Stolz bei den rechtswidrigen Vorgängen im Meerholzer Neubaugebiet. Und auch die Strafanzeige ist nicht einfach so vom Himmel gefallen: Die Stadtverordneten hatten bereits am 30. September 2020 beschlossen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten – nur der Bürgermeister hat den Beschluss halt wieder mal nicht umgesetzt. Möglicherweise rührt daher ja die Überraschung des Landrats: Er hat sich vielleicht einfach zu sehr auf Glöckners Untätigkeit verlassen.
Aus seiner Position der moralischen Überlegenheit und Integrität stellt Stolz natürlich auch sehr hohe Ansprüche an die Berichterstattung, der wir in seinen Augen zum wiederholten Male leider nicht gerecht geworden sind. So müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, die Erkenntnisse der rechtlichen Stellungnahme des HSGB, die fast ein halbes Jahr unter Verschluss gehalten worden waren, einfach so veröffentlicht zu haben, ohne den Landrat vorher gefragt zu haben. Ein unverzeihlicher Fehler! Strafmildernd könnte man uns zumindest zugutehalten, dass die Position von Stolz nach drei Stellungnahmen zum Thema hinlänglich bekannt war. Ebenfalls strafmildernd könnte man eventuell anführen, dass wir in einer festgefahrenen Debatte, die seit fast zwei Jahren zwischen den Polen „(fast) alles rechtens“ und „Skandal“ schwankt, eine neutrale juristische Einschätzung des Sachverhalts wiedergegeben haben. Dass die Waage dabei eindeutig in Richtung Skandal ausgeschlagen hat, das kann man uns nun nicht zum Vorwurf machen. Aber dass wir die Frechheit besitzen, in einem Kommentar, der journalistischen Darstellungsform eines Meinungsbeitrags, ungefragt auch noch eine „öffentliche Bewertung“ der Vorgänge vorzunehmen, das überschreitet nun wirklich jede Grenze.
Wie bitte? Ich bin mit keiner Silbe auf die inhaltlichen Argumente des Landrats eingegangen? Das stimmt! Das mag daran liegen, dass seine persönliche Erklärung zwar viel Mimimi, aber leider keine Einlassungen zur Sache enthielt. Aber das ist angesichts der alles überstrahlenden Jubelmeldung, dass die Staatsanwaltschaft derzeit keinen Anlass für ein Ermittlungsverfahren sieht, auch eigentlich nicht nötig.
Freundliche Kritiker, die uns im Nachgang vorhalten könnten, dass der Tag vor der Kommunalwahl doch frei von Wahlkampf bleiben sollte, möchte ich an dieser Stelle auf zwei Punkte hinweisen. Erstens: Ganz bewusst haben wir darauf verzichtet, Thorsten Stolz als SPD-Landrat und Daniel Glöckner als FDP-Bürgermeister auszuweisen. Zweitens: Stehen die namentlich genannten Personen als hauptamtliche Politiker nun nicht gerade in Verdacht, morgen ein ehrenamtliches Mandat im Kreistag beziehungsweise in der Stadtverordnetenversammlung oder gar im Ortsbeirat anzustreben, da eine solche Doppelfunktion bekanntlich nicht zulässig wäre.
Epilog: Soeben hat mich ein Kollege darauf aufmerksam gemacht, dass Stolz und Glöckner – ebenso wie weitere Hauptamtliche anderer Parteien – morgen überraschend doch zur Wahl stehen. In diesem Fall wünsche ich den Herren Berufspolitikern natürlich viel Erfolg bei ihrem Streben nach einer neuen Berufung! Einen Thorsten Stolz zum Beispiel könnte ich mir auch sehr gut als ehrenamtliches Kreistagsmitglied vorstellen, vielleicht sogar Seite an Seite mit seinem CDU-Kollegen aus der Kreisspitze, Winfried Ottmann. Ein bisschen frischer Wind würde gewiss auch dem Landratsamt nicht schaden. Und was Daniel Glöckner angeht: Der ist in meinen Augen geradezu prädestiniert, das Ehrenamt des Ortsvorstehers von Gelnhausen-Mitte auszufüllen. Da er zugleich natürlich nicht als Bürgermeister im Rathaus sitzen kann, müsste er im Erfolgsfall selbst abwägen, welches Amt seinen persönlichen Neigungen und Qualifikationen eher entspricht. Schwierig!