Anwohner des „Mittlauer Wegs“ wenden sich in einem offenen Brief an alle Stadtverordneten GNZ 29.08.2020
Gelnhausen-Meerholz (re/mb). Noch immer herrscht in weiten Teilen der Anwohnerschaft im Neubaugebiet „Mittlauer Weg“ Frustration und Hilflosigkeit. Denn noch immer sind die intransparenten Vorgänge um die Vergabe von öffentlichen Grünflächen an Privatbesitzer nicht aufgeklärt. Und noch immer sind die damaligen und heutigen Verantwortlichen von Stadt und Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) ihnen Antworten auf ihre Fragen schuldig geblieben. Große Hoffnungen setzen die Anwohner nun auf einen Antrag, den CDU, BG und Grüne für die nächste Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am kommenden Mittwoch (18.30 Uhr, Sport- und Kulturhalle Meerholz) gestellt haben. Dieser sieht neben der Einleitung eines Mediationsverfahrens auch die Beauftragung eines unabhängigen Gutachters vor, von der sie sich eine neutrale Aufarbeitung und endlich Aufklärung versprechen. In einem offenen Brief wenden sich die Anwohner an alle Stadtverordneten und appellieren eindringlich an deren Gewissen, Moral und Demokratie- und Rechtsverständnis. Wir veröffentlichen das Schreiben, das von Jana Fuchs, Steve Larsen, Stefan Oliva, David Saborowski und Sabrina Schulz – mit dem Verweis auf weitere Anwohner, die namentlich nicht genannt werden möchten – unterzeichnet ist, nachfolgend im Wortlaut.
Sehr geehrte Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Gelnhausen,
Sie haben es in der Hand: Unterstützen Sie am kommenden Mittwoch über Fraktionsgrenzen hinweg den Antrag von BG, Grüne und CDU, einen unabhängigen Gutachter zu beauftragen, der nicht mit einer Partei oder den Verantwortlichen der Stadt Gelnhausen verbunden ist.
Aufgrund der uns mittlerweile vorliegenden Informationen, verhärtet sich bei uns der Eindruck, dass die Stadt Gelnhausen nie ernsthaft vorhatte, das Neubaugebiet Mittlauer Weg, wie im Bebauungsplan (inklusive 1. Änderung vom 30.11.2015) rechtlich festgehalten, umzusetzen. Über die Beweggründe der damals Verantwortlichen können wir nur spekulieren. Jedem können Fehler passieren, doch anscheinend versagen alle Aufsichtsorgane in unserer Stadt. Denn spätestens, wenn diese „Fehler“ aufgedeckt werden, muss gehandelt werden. Gerade als ehrenamtliche Vertreter der Bürger und noch mehr als Beamte und Angestellte der Stadt gibt es eine Verpflichtung – rechtlich und moralisch –, sich um Transparenz und Aufarbeitung zu den Vorgängen im Mittlauer Weg zu bemühen.
Je intensiver wir recherchieren, desto mehr Fragen und Fassungslosigkeit entstehen bei uns. Sie als Stadtverordnete können dazu beitragen, Antworten zu finden und endlich alle relevanten Fakten zu den Ungereimtheiten rund um das Neubaugebiet Mittlauer Weg offen zu legen und von neutraler Seite rechtlich bewerten zu lassen. Sorgen Sie bitte dafür, dass keine Informationen mehr weggelassen werden und nur ein Teil der Geschichte erzählt wird. Sie sind die von uns Bürgern gewählte Gemeindevertretung und damit das oberste Organ der Gemeinde, wie es die Hessische Städte- und Gemeindeordnung definiert. Übernehmen Sie in allen Fraktionen Verantwortung für das Geschehene und tragen Sie zur Aufklärung bei!
Aber wehe man ändert die Farbe der Dachziegel
In den von Ihnen eingerichteten Akteneinsichtsausschuss hatten wir ursprünglich viel Hoffnung gesetzt: Ein solches Gremium würde doch sicherlich alle Fakten transparent aufarbeiten, bekannt machen und sich – wenn nötig – Unterstützung von unabhängigen Gutachtern für die Bewertung der Situation einholen. Inzwischen bezweifeln wir ernsthaft, dass eine Aufarbeitung unter Leitung von SPD und FDP stattfinden kann. Hat das eventuell mit der Parteizugehörigkeit der damaligen Entscheider (Bürgermeister Herr Stolz, Bauamtsleiter Herr Kauder, beide SPD; damaliges Magistratsmitglied Kolja Saß, FDP) zu tun?
Alle Gelnhäuser Bürger sollten sich fragen, welches Vertrauen sie noch in politische Vertreter setzen können, die so widerwillig beim Thema „Mittlauer Weg“ agieren und mit großer Arroganz alle Einwände und Fragen von Bürgern zur Seite schieben. Es ist ein sehr frustrierender und auch hilfloser Zustand für uns: Wir müssen seit Jahren unglaublich hartnäckig eigentlich selbstverständliche Transparenz und Rechtsklärung einfordern. Wieso ist es den städtischen Verantwortlichen selbst kein Bedürfnis, die Altlasten aufzuklären?
Dabei sind viele belegbare Fakten eindeutig. Daraus eine unterschiedliche Bewertung abzuleiten, ist für uns, gelinde gesagt, verwunderlich.
Fakt ist: Der Magistrat der Stadt Gelnhausen hat den Verkauf von fast 15 000 Quadratmeter öffentlichen Grünflächen im Neubaugebiet beschlossen. Dazu hatte er keine Berechtigung. Denn der Verkaufswert von insgesamt mehr als einer halben Million Euro übersteigt die Entscheidungshoheit des Magistrats über das Zwanzigfache! Wie hat der Magistrat den Verkauf beschließen können, wenn die Hauptsatzung der Stadt Gelnhausen (§2, Absatz 3.3.) klar festlegt, dass der Magistrat bis maximal 25 000 Euro Grundstücksangelegenheiten regeln darf?
Mit dem Verkauf fallen mehr als die Hälfte der rund 27 000 Quadratmeter geplanten öffentlichen Grünflächen weg. Der Anteil der Naherholungsflächen für alle Bürger der Stadt reduziert sich von den damals versprochenen über 20 Prozent auf nicht mal mehr 10 Prozent. Damit hat der Magistrat zudem die Festsetzungen des Bebauungsplans signifikant verletzt.
Es stellt sich die Frage, wieso beim Original-Bebauungsplan und bei der 1. Änderung für kleine Änderungen wie beispielsweise die Dachziegelfarbe alle vorgeschriebenen Prozessschritte durchlaufen wurden, aber eine notwendige 2. Änderung vor dem Verkauf beziehungsweise der Verpachtung der Flächen nicht angestrebt wurde. Wir können die Gründe nur erahnen, aber unsere Vermutungen werfen kein gutes Licht auf die damals Verantwortlichen der Stadt Gelnhausen.
Wieso war die Stadtverordnetenversammlung nicht frühzeitig und mit allen Informationen eingebunden? Ein Wegfall von mehr als 50 Prozent der öffentlichen Flächen verändert das Gebiet signifikant und berührt die Grundzüge der Planung. Das ist keine Kleinigkeit und hätte von der Stadtverordnetenversammlung im Vorfeld beschlossen werden müssen. In den Vergabegesprächen der Grundstücke wurde insbesondere das Vorhandensein der großzügigen, öffentlichen Grünflächen als Mehrwert und Argument für den Kauf relativ kleiner Baugrundstücke angepriesen. Wäre eine zweite Bebauungsplanänderung transparent und mit Beteiligung der Öffentlichkeit und allen Ämtern, wie im Baugesetzbuch vorgesehen, abgelaufen, hätten alle Grundstücksinteressenten die gleiche Basis für die Kauf- oder Bebauungsentscheidung gehabt. Aber so war es leider nicht.
Die Fakten lassen sich nicht ignorieren
Bevor auch nur ein Spatenstich im Mittlauer Weg 2016 für die Erschließung des Neubaugebietes stattfand, hatte der Magistrat bereits entschieden, dass die Umsetzung des gültigen Bebauungsplans nicht erfolgen würde. Dieses Wissen hatten wir und ein Großteil der anderen Grundstücksbesitzer jedoch beim Grundstückskauf und Baubeginn nicht. Es stimmt, dass einige Grundstückskäufer über den möglichen Zukauf von Grünflächen informiert waren. Dies waren aber eben nur jene Grundstückskäufer, für die eine solche Option überhaupt bestand. Bei einer öffentlichen Vergabe von Grundstücken über eine Gesellschaft der Stadt Gelnhausen (SEG) sollte nachvollziehbar sein, dass diese Intransparenz bei uns zu dem Gefühl führt, ungerecht behandelt worden zu sein. Es war keine faire Ausgangsbasis für alle, sondern nur das Wissen Einzelner.
Wir haben uns gefragt, warum die Verantwortlichen der Stadt Gelnhausen diesen Weg gewählt haben. Hat man geglaubt, dass es einfach niemand merken würde und mit einer nachträglichen Bebauungsplanänderung alles erledigt sei? Hat man erwartet, dass wir – denen Informationen bewusst vorenthalten wurden – einfach nicken und vielleicht nur leise bedauern, einfach Pech bei der Grundstückswahl gehabt zu haben?
Seit mehreren Jahren stellen wir der Stadt und Bürgermeister Daniel Glöckner immer wieder Fragen und bitten um rechtlich gesicherte Antworten. Bis heute sind uns alle damals und heute Verantwortlichen diese ausführlichen und aufklärenden Antworten schuldig geblieben.
Wir möchten deutlich darauf hinweisen, dass es hier nicht um irgendeine Form der Missgunst gegenüber den Grundstücksbesitzern geht, die Grünflächen hinzukaufen konnten. Diese haben die Zukäufe sicher in dem Glauben getätigt, dass der Verkäufer in Form der SEG dazu berechtigt war. Es geht uns vor allem darum, dass bei dem Verkauf der öffentlichen Grünflächen rechtsstaatliche Prinzipien verletzt wurden! Es geht hierbei um Recht und Moral. Wir appellieren daher an Sie, werte Stadtverordnete, das Thema Bebauungsplan „Mittlauer Weg“ mit allen Belangen endlich transparent aufzuarbeiten und in allen Fraktionen klar Stellung zu beziehen.
Bitte kümmern Sie sich darum aufzuklären, warum in 2015/2016 die städtischen Grundstücke im Neubaugebiet „insbesondere für junge Familien“ und mit einem „hohen Anteil an gebietsinternen, zusammenhängenden Grünflächen, die als öffentliche Freiflächen der Erholung und Freizeitgestaltung dienen“ (Auszug aus dem städtischen Exposé) überhaupt mit solchen Anreizen vermarktet wurden. Warum erhielten (gleichzeitig) einzelne Interessenten bereits in deren Vergabegesprächen im Juni 2015 die Information über Zukaufsmöglichkeiten der öffentlichen Flächen?
Alle anderen Grundstückskäufer haben in gutem Glauben über die SEG von der Stadt Gelnhausen ein Grundstück erworben, ohne Kenntnis der zu dem Zeitpunkt wohl schon beschlossenen Grünflächenverkäufe. Als die weiteren Randgrundstückseigentümer im Januar 2016 die schriftliche Information der SEG erhielten, dass der Magistrat dem Verkauf zu 38,50 Euro pro Quadratmeter zugestimmt hat und sie die Grünflächen erwerben können, haben diese ihre Chance ergriffen. Und wer kann es ihnen verdenken? Gleichzeitig wurden alle anderen „in der Mitte“ des Neubaugebietes noch jahrelang über die Existenz des bereits 2015 erstellten „Grünflächenerwerbsplans“ im Dunkeln gelassen. Warum hat man uns entscheidungsrelevante Informationen bewusst vorenthalten?
Ist es fair, dass einige Randgrundstücksbesitzer durch die „privaten Hausgärten“ ihr Grundstück fast verdoppeln konnten? Und dass sie dafür im Ergebnis für das Gesamtgrundstück deutlich weniger gezahlt haben als andere Eigentümer für kleinere Baugrundstücke? Bezweifelt tatsächlich jemand, dass es in Zukunft für die Randeigentümer ein Vermögenszugewinn ist, wenn das Grünflächenstück nach 25 Jahren, ohne weitere Zustimmung der Stadt oder einer Nachzahlung, automatisch zu Bauland wird und einfach mit dem Ursprungsbaugrundstück vereinigt werden kann?
Sehr geehrte Stadtverordnete, keiner von uns hat sich gewünscht, dass wir uns mit diesen Fragen zum Neubaugebiet beschäftigen müssen. Keiner von uns ist auf die Idee gekommen, dass solche Prozesse nicht formal korrekt ablaufen würden. Aber die Fakten lassen sich nicht ignorieren. Es ist an Ihnen, dafür zu sorgen, dass es endlich belastbare Antworten gibt.