Anwohner des Mittlauer Wegs bei einem Ortstermin am 31. Juli 2019. Ihre großen Hoffnungen, die sie in die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung setzten, wurden einmal mehr enttäuscht. Foto: Archiv GNZ
Weil die SPD/FDP-Koalition die Stadtverordnetenversammlung verkürzt, wird das Thema „Mittlauer Weg“ vertagt. Anwohner reagieren wütend und frustriert. GNZ 04.09.2020 von M. Boll
Tapfer hatten sie ausgeharrt. Mehr als drei Stunden lang langatmige Diskussionen über sich ergehen lassen, über konkurrierende und ergänzende Anträge, über das Stadthallen-Debakel und die weiteren städtischen Hallen. Im festen Glauben daran, dass irgendwann über das Thema beraten wird, wegen dem sie in die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am Mittwochabend gekommen waren. Ein für sie leidiges Thema, mit dem sie sich nun seit mehr als einem Jahr beschäftigen müssen. Große Hoffnungen setzten die rund 25 anwesenden Anwohner des Mittlauer Wegs daher in die Einleitung eines Mediationsverfahrens und die Beauftragung eines unabhängigen Gutachters, die CDU, BG und Grüne beantragt hatten. Hoffnungen, die am Ende wieder einmal bitter enttäuscht wurden.
Es ist 21.40 Uhr, als der SPD-Fraktionsvorsitzende Ewald Desch sich von seinem Platz aus zu Wort meldet. Unmittelbar zuvor war Pia Horst mit ihrem Antrag auf eine Sitzungsverlängerung gescheitert. Die Stadtverordnetenvorsteherin wollte damit der umfangreichen Tagesordnung Rechnung tragen, um möglichst alle Punkte an diesem Abend noch beraten zu können. Desch wiederum hat offenbar ein anderes Interesse. Er stellt für die SPD überraschend den Antrag, das reguläre Sitzungsende von 22.30 Uhr um eine halbe Stunde auf 22 Uhr vorzulegen. Die Anwohner reagieren mit Unmutsbekundungen und Buh-Rufen auf den unerwarteten SPD-Vorstoß. Denn zu diesem Zeitpunkt ist bereits absehbar, dass der Tagesordnungspunkt Mittlauer Weg in diesem Falle höchstwahrscheinlich nicht mehr aufgerufen wird. Die Hoffnung der rund 25 anwesenden Anwohner schlägt um in Wut, Frustration und Enttäuschung.
„Sie wissen doch ganz genau, warum wir heute Abend alle hier sind“, ruft einer der Anwohner in Richtung Desch. „Die Quittung werden SPD und FDP hoffentlich bei der Kommunalwahl erhalten“, lautet ein weiterer Zwischenruf von der Tribüne der Sport- und Kulturhalle in Meerholz. Der SPD-Chef gibt sich indes unbeeindruckt ob der lautstarken Proteste aus dem Publikum. „Ich sehe keine Veranlassung für eine Sitzungsverkürzung, zumal wir den früheren Beginn wegen der langen Tagesordnung in drei Sitzungen des Präsidiums abgestimmt haben“, wendet Stadtverordnetenvorsteherin Pia Horst ein. Aber auch dieser Einwand perlt an Desch ab, der stattdessen auf eine Abstimmung drängt. Das sei sehr unglücklich, erklärt Horst mit Blick auf die zahlreichen Zuhörer, ehe sie die Stadtverordneten schließlich notgedrungen zum Votum ruft. Mit der SPD/FDP-Mehrheit plus einen Vertreter der BG nimmt das Parlament den SPD-Antrag mit 19:16-Stimmen an. Die Anwohner quittieren das mit höhnischem Applaus.
Für bittere Erheiterung sorgt bei ihnen nur wenige Minuten später ein weiterer Antrag der SPD-Fraktion zur Geschäftsordnung, diesmal vorgebracht von Walter Nix. Sein Anliegen: Den Eilantrag von SPD, CDU, Grüne und FDP zum Erhalt des „Lorbass“, eigentlich der letzte Punkt der Tagesordnung, vorzuziehen. Mit großer Mehrheit entsprechen die Stadtverordneten diesem Wunsch, erneut begleitet von höhnischem Beifall der Zuhörer. „So eine chaotische Sitzung hatten wir noch nie“, merkt Pia Horst an.
Und so kommt es, wie es kommen sollte: Die Tagesordnung wird pünktlich um 22 Uhr beendet, ohne dass die Stadtverordneten über die Einleitung eines Mediationsverfahrens und die Beauftragung eines spezialisierten Rechtsanwalts für eine unabhängige Expertise beraten hätten. „Es tut mir leid“, entschuldigt sich Stadtverordnetenvorsteherin Pia Horst bei den enttäuschten Anwohnern. Sie weist daraufhin, dass der Punkt in der nächsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 30. September behandelt wird.
Bürgermeister Daniel Glöckner bietet den Fraktionen am Ende der Stadtverordnetenversammlung an, dass der Magistrat sich bereits in seiner nächsten Sitzung mit dem Antrag von CDU, BG und Grüne und dem Änderungsantrag von SPD und FDP befassen könne, freilich ohne eine Entscheidung der Stadtverordneten vorwegnehmen zu wollen, wie er betont. „Ein Vorschlag, der den Bürgermeister ehrt, allerdings stammt der Antrag bereits aus dem März, der Magistrat hätte das also längst tun können“, merkt der CDU-Fraktionschef Christian Litzinger an. In Richtung SPD und FDP gewandt, stellt er fest, dass an diesem Abend die eine oder andere Regel gebrochen worden sei. „Aber Leute, es kann doch nicht sein, dass über 20 Bürger hier sitzen und warten, und wir sie dann heimschicken, weil wir alle um 22 Uhr ins Bett müssen“, sagt Litzinger unter dem Beifall der Zuhörer. Petra Schott-Pfeifer will vom Bürgermeister wissen, warum der Akteneinsichtsausschuss beziehungsweise die Stadtverordnetenversammlung nicht die Stellungnahme des HSGB vorgelegt bekommt. Eine entsprechende Anfrage der CDU habe Glöckner einmal mehr unbeantwortet gelassen.
Als Ewald Desch schließlich um 22.10 Uhr noch einmal zum Rednerpult schreitet, kommt aus dem Publikum der ironische Zwischenruf „Sie wollten doch um 22 Uhr heimgehen“. Der SPD-Chef entschuldigt sich halbherzig bei den Anwohnern und kritisiert seinerseits den Wortbeitrag Litzingers: „Die Art und Weise der Kritik war billig und primitiv.“ Das wiederum kommentiert Horst mit den Worten: „Sie können austeilen, Herr Desch, dann müssen Sie auch einstecken.“ Und damit ist die Sitzung endgültig beendet. Die Anwohner können sich unverrichteter Dinge, frustriert und wütend auf den Heimweg machen – wohl im festen Glauben daran, dass ihre Anliegen von ihren gewählten Vertretern der Bürgerschaft wieder einmal hervorragend vertreten wurden.