Tiefe Gräben im Neubaugebiet

KOMMENTAR von Matthias Boll in der GNZ vom 02.08.2019

Durch den „Mittlauer Weg“ geht ein tiefer Riss. Das haben die gegenseitigen Anfeindungen beim Ortstermin am Mittwochabend mehr als deutlich gezeigt. Verantwortlich für die missliche Lage ist aber weder die eine noch die andere Seite der gespaltenen Anwohnerschaft. Die Schuld an der Misere im Meerholzer Neubaugebiet tragen ganz alleine die Stadt und die Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG). Man kann für beide Parteien Verständnis haben: Auf der einen Seite stehen die mittlerweile rund 50 Familien der Anwohnergemeinschaft, die berechtigterweise das intransparente und ungerechte Vorgehen der Verantwortlichen bei der Vergabe von öffentlichen Grünflächen an Privatbesitzer anprangern. Sie fühlen sich von der Stadt und der SEG getäuscht und um Flächen für Freizeit und Erholung betrogen. Und das vollkommen zu Recht, mussten sie bei Abschluss des Kaufvertrages doch davon ausgehen, dass die „parkartig gestalteten Grünflächen“ auch so umgesetzt werden, wie sie im Bebauungsplan angekündigt waren. Ebenso nachvollziehbar ist ihr Argument, dass sie sich beim Kauf für ein anderes Grundstück entschieden hätten, wenn sie denn auch von der Möglichkeit des günstigen Zukaufs von öffentlicher Grünfläche gewusst hätten. Dass eine solche Ungleichbehandlung der Bürger zu Unmut führt, hätten sich die damaligen Entscheidungsträger eigentlich denken können.

Auf der anderen Seite kann man natürlich auch die Anwohner verstehen, die vom Verkauf und der Verpachtung der öffentlichen Grünflächen profitiert haben. Ihnen ist in der ganzen Angelegenheit keinerlei Vorwurf zu machen. Sie haben von der SEG das Angebot erhalten und dann diese Möglichkeit genutzt, für kleines Geld das eigene Grundstück zu erweitern. Besonders pikant: Auch der Sohn von SEG-Chef Günther Kauder zählt offenbar zu diesen Nutznießern, wie die Anrede eines Anwohners am Mittwochabend nahelegt. Dass diese Seite der Bewohnerschaft natürlich kein Interesse daran hat, die kostengünstig hinzugewonnene Fläche wieder zurückzugeben, liegt auf der Hand. Entsprechend argwöhnisch betrachten sie die Anstrengungen der Anwohnergemeinschaft, die verzweifelt versucht, Licht in die dubiosen Vorgänge zu bringen.

Und damit wären wir bei denjenigen, die mit ihren Entscheidungen von damals und ihrem heutigen Umgang damit verantwortlich für die Misere im „Mittlauer Weg“ sind. Fakt ist, dass die SEG die Veräußerung von knapp der Hälfte der öffentlichen Grünflächen bereits geplant hatte, bevor die Stadtverordneten am 16. Dezember 2015 die 1. Änderung des B-Plans als Satzung beschlossen. Es wäre also durchaus möglich gewesen, diese nicht ganz unwesentlichen Abweichungen im Sinne der Transparenz und der Gleichbehandlung in diese 1. Änderung einfließen zu lassen, auch wenn das eine Verzögerung der Erschließungsarbeiten nach sich gezogen hätte, wie Kauder argumentiert. Man hätte sich damit jedenfalls viel Ärger sparen können.

Fakt ist auch, dass wenige Wochen nachdem der B-Plan rechtskräftig war, der Magistrat die Pläne der SEG absegnete; Pläne, die im Widerspruch zum Beschluss der Stadtverordneten stehen, der ein Neubaugebiet mit knapp 30 000 Quadratmetern naturnah gestalteten öffentlichen Grünflächen vorsieht. Ob der Magistrat, der eigenständig über Ausgaben von bis zu 30 000 Euro befinden darf, tatsächlich dazu befugt war, eine solche Entscheidung zu treffen, oder ob nicht vielmehr die Stadtverordnetenversammlung als oberstes Organ hätte angehört werden müssen, will die Stadt nun prüfen lassen. So hat es Bürgermeister Daniel Glöckner am Mittwochabend angekündigt.

Und wie gehen die Verantwortlichen heute mit dieser misslichen Situation um? Günther Kauder kann den ganzen Wirbel nicht nachvollziehen und behauptet nach wie vor, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Der SEG-Chef und ehemalige Bauamtsleiter der Stadt beruft sich unter anderem lapidar darauf, dass Abweichungen vom B-Plan nun mal vorkommen und diese dann nachträglich durch eine Änderung genehmigt werden könnten. Das sei gängige Praxis. Dieser Argumentation folgend, könnte man etwas ketzerisch die Frage stellen, wozu man dann noch einen B-Plan braucht, wenn man sich sowieso nicht an dessen Vorgaben hält. Auffällig waren auch Kauders widersprüchliche Aussagen zur Größe der veräußerten Fläche: Mal war die Rede von 8 000 Quadratmetern, mal von 10 000 Quadratmetern, dann wiederum behauptete er, die genaue Zahl der verkauften und verpachteten Flächen nachschlagen zu müssen. In der GNZ vom 22. Mai hatte Kauder noch darauf verwiesen, dass „durch eine Verringerung der unterhaltungspflichtigen Grünflächen von 30 000 auf 15 000 Quadratmeter“ die SEG Mehreinnahmen von circa 550 000 Euro generiert habe. Immerhin gab er am Mittwochabend zu, dass man bei den eingezäunten Gartenerweiterungen nicht mehr von einer „öffentlichen Grünfläche in Privatbesitz“ sprechen könne, und revidierte damit frühere Aussagen.

Geradezu hanebüchen ist indes Kauders These, dass die Grundstücke durch die hinzugewonnenen Grünflächen nicht ihren Wert gesteigert hätten, da es sich dabei nicht um Bauland handele. Es gibt im Neubaugebiet Bauherren, die durch einen solchen Zukauf die Größe ihres Areals verdoppelt haben. Wenn sie irgendwann einmal ihr Haus verkaufen wollen, spielt es sehr wohl eine Rolle, ob das Grundstück 400 oder 800 Quadratmeter groß ist – unabhängig davon, ob ein Teil der Fläche nicht bebaut werden darf. Alles andere widerspricht jeglicher Logik und jeglichem gesunden Menschenverstand.

Auch Bürgermeister Daniel Glöckner gibt in der Causa „Mittlauer Weg“ keine gute Figur ab. Da er damals nicht in der Verantwortung stand, könnte er eigentlich ganz unbefangen und souverän mit der Situation umgehen und den größten Aufklärungswillen an den Tag legen. Tut er aber nicht. Zunächst ignorierte er die Gesprächsgesuche der Anwohner, dann stieß er sie unnötig vor den Kopf, indem er ihnen kommentarlos ein Schreiben des städtischen Anwalts weiterleitete.

Unrühmlicher Höhepunkt war sein peinlicher Auftritt am Mittwochabend, bei dem er gänzlich unvorbereitet wirkte. Die Anwohner waren gekommen, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten; Fragen, die schon seit Wochen und Monaten im Raum stehen. Und was macht der Rathauschef? Er zückt unter den erstaunten Blicken der Anwohner ein Notizbuch und kündigt an, dass er die Fragen aufnimmt und anschließend im Newsletter für das Neubaugebiet beantworten wird. Entsprechend groß war die Enttäuschung und die Frustration derer, die sich tatsächlich etwas von diesem Treffen mit dem Bürgermeister erhofft hatten; manche eventuell auch ein Eingeständnis, dass vielleicht doch nicht alles so optimal gelaufen ist, wie man gerne glauben machen möchte. Die größten Optimisten könnten sogar spekuliert haben, dass Glöckner auf die Anwohner zugeht, ihnen ein wie auch immer geartetes Angebot unterbreitet, Kompromissbereitschaft zeigt. Stattdessen gab es nichts. Auch das trug dazu bei, dass die gegenseitigen Anfeindungen sich zum Ende des Ortstermins hochschaukelten. Aber wie geht es nun im Neubaugebiet weiter? Eine Lösung, mit der alle Beteiligten leben können, ist nicht in Sicht. Stadt und SEG streben offenbar nach wie vor an, die Verstöße gegen den Bebauungsplan einfach nachträglich durch eine Änderung des B-Plans zu legitimieren. Sie wollen die verkauften und verpachteten öffentlichen Grünflächen nun in Gartenflächen umwidmen. Damit wäre zumindest dem weitaus kleineren Teil der Anwohner geholfen, die von der Vergabe profitiert haben. Den meisten anderen Bewohnern würde das freilich nichts nützen, im Gegenteil. Sie können ihre Hoffnung derzeit noch auf den eingesetzten Akteneinsichtsausschuss setzen. Sie könnten natürlich auch versuchen, ihr Recht einzuklagen und einen Schadenersatz zu erwirken. Allein die Aussicht auf eine womöglich jahrelange juristische Auseinandersetzung mit der Stadt dürfte wenig ansprechend sein. Auf der anderen Seite wird die Anwohnergemeinschaft vielleicht davor zurückschrecken, mit aller Vehemenz auf den Rückbau von Zäunen zu pochen. Die im Neubaugebiet aufgeworfenen Gräben sind schon jetzt tief genug. Falls die Lage weiter eskalieren sollte, könnten sie irgendwann so tief sein, dass man sie nicht mehr so ohne weiteres wieder zuschütten kann. Und das kann natürlich in Niemandes Sinne sein.