Öffentliche Grünflächen sind nicht auch öffentlich zugänglich – zumindest im „Mittlauer Weg“ in Meerholz. FOTO: RE
Wenn Unmut in Wut umschlägt
Konflikt um das Meerholzer Neubaugebiet „Mittlauer Weg“: Jetzt sprechen die Anwohner
Von Matthias Boll
Lange Zeit haben sie geschwiegen. Die Devise lautete Dialog statt Konfrontation. Aber nach den jüngsten Entwicklungen rund um das Neubaugebiet „Mittlauer Weg“ in Meerholz ist den Anwohnern endgültig der Geduldsfaden gerissen: Nachdem sie in der Zeitung lesen mussten, dass Stadt und Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) trotz eines eingesetzten Akteneinsichtsausschusses offenbar im stillen Kämmerlein nach wie vor an einer nachträglichen Legitimation von Verstößen gegen den Bebauungsplan basteln, haben sie nun entschieden, ihr öffentliches Schweigen zu brechen. In einem mehrseitigen Schreiben, das von zehn Familien unterzeichnet ist, haben sich die Betroffenen an die GNZ gewandt. Ihre Sicht auf den Konflikt um den Verkauf beziehungsweise die Verpachtung öffentlicher Grünflächen an Privatbesitzer im Meerholzer Neubaugebiet wirft ein verheerendes Bild auf die politischen Entscheidungsträger von damals und heute. Darüber hinaus macht die Stimme der Anwohner immer mehr eines deutlich: Entgegen den Beteuerungen von Stadt und SEG, die sich immer noch darauf berufen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist, muss man wohl langsam tatsächlich von einem „Bauskandal“ im Mittlauer Weg ausgehen.
Die Anwohner, die sich an die GNZ gewandt haben, möchten anonym bleiben. Verständlicherweise, schließlich wollen sie noch viele Jahre in ihren neu gebauten Häusern leben, und das möglichst ohne Anfeindungen. Denn die Stimmung im Neubaugebiet ist ohnehin schon schlecht, wie eine der Anwohnerinnen im Gespräch mit der GNZ berichtet. Die Nutznießer, sprich die Käufer öffentlicher Grünflächen, sind nicht gut auf diejenigen zu sprechen, die unbequeme Fragen stellen und die zweifelhaften Vorgänge hinterfragen.
Unmut auf zwei Ebenen
Unsere Gesprächspartnerin, nennen wir sie Meike Meier, ist eine der Initiatorinnen des bürgerschaftlichen Protests. Sie will sich jedoch nicht anmaßen, sich als Sprecherin der Gruppe zu äußern. Denn selbst den Anwohnern seien unterschiedliche Aspekte bei dem Thema wichtig. „Eines eint uns jedoch: Wir sehen das ganze Vorgehen rund um den Verkauf und die Verpachtung der öffentlichen Grünflächen als absolut intransparent und ungerecht an“, betont Meier im Gespräch mit der GNZ. Hinzufügen könnte man noch weitere Punkte, in denen die Unterzeichner übereinstimmen, wie aus ihrem Schreiben hervorgeht: Sie fühlen sich von der Stadt und der SEG getäuscht und betrogen. Und sie vermissen jegliches Eingeständnis einer Schuld – vom Willen nach einer Aufklärung beziehungsweise Aufarbeitung ganz zu schweigen.
Im Prinzip umfasst der Unmut der Anwohner zwei Ebenen: Zum einen geht es ihnen natürlich um die Sache an sich, also um den Verkauf von mehr als der Hälfte der öffentlichen Grünflächen an private Grundstücksbesitzer. Das hat in erster Linie zur Folge, dass sich die im B-Plan eigentlich für Freizeit und Erholung vorgesehenen Flächen massiv reduziert haben. Das war bei der Unterzeichnung des Kaufvertrags im Jahr 2015 für die künftigen Häuslebauer freilich so nicht abzusehen. Sie sind damals davon ausgegangen, dass „mit den parkartig gestalteten Grünflächen“ tasächlich „Freiräume mit hoher Nutzungsqualität für die Bewohner“ geschaffen werden, wie es vollmundig im B-Plan heißt, auf den sich freilich auch der Kaufvertrag bezog. Und auch von einer ebenfalls versprochenen „Aufwertung des Wohnumfeldes“ kann aktuell kaum noch die Rede sein. Das ist umso bitterer, da die Grundstücke im Meerholzer Neubaugebiet mit im Schnitt rund 400 Quadratmetern relativ klein ausfallen. Das sollte eigentlich durch eben jene großzügigen Grünflächen kompensiert werden, wie den Meiers damals von Günther Kauder, SEG-Geschäftsführer und damaliger Bauamtsleiter der Stadt, in Aussicht gestellt worden sei.
Zwar argumentiert die Stadt, dass „eine öffentliche, das heißt der Allgemeinheit zugängliche Grünfläche öffentlich bleibt, auch wenn sie im Privateigentum steht“, wie es der städtische Fachanwalt Thomas Eichhorn den Anwohnern mitteilte. Dem stimmen diese auch zu, wie sie betonen, solange der Zugang zu diesen Flächen weiterhin für die Öffentlichkeit gewährleistet sei. Dem ist aber aktuell nicht so: „Erworbene, öffentlich gewidmete Grünflächen wurden von einigen Käufern als private Flächen umzäunt und mit dem Baugrundstück eingefriedet beziehungsweise versiegelt“, stellen die Anwohner fest. Sie fordern deshalb, dass die im Bebauungsplan ausgewiesenen rund 27 300 Quadratmeter öffentlicher Grünfläche sofort wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht und auch gemäß Nutzungskonzept gestaltet werden. Denn die damaligen Aussichten auf ein Wohngebiet mit großzügigen parkähnlichen Grünanlagen zur Freizeitgestaltung, zum Spielen für die Kinder und einer einladenden Allee entlang der Hauptstraße haben sich so leider nicht erfüllt. Aber auch auf der anderen Seite gibt es Verlierer, wie Meier feststellt: „Auch die eigentlichen Nutznießer sind letztlich betrogen worden: Ihnen wurden Grünflächen zur privaten Nutzung verkauft, ohne den geltenden Bebauungsplan, der für alle SEG-Verkäufe rechtsgültige Grundlage war, vorab einem Änderungsprozess zu unterziehen.“
Antwort kommt vom Anwalt
Die zweite Kritik der Anwohner an der Sache entzündet sich am unterschiedlichen Wissensstand der Grundstückseigentümer. So sei die Größe der zu veräußernden Grünflächen nicht vorab an alle kommuniziert worden, so dass das ganze Ausmaß erst offensichtlich geworden sei, nachdem die neuen Eigentümer durch Zäune, Wallaufschüttungen und Gartenhäuser Fakten geschaffen hatten. „Erst dann hat man gesehen, wie groß diese zusätzlich zu erwerbenden Flächen durch einige wenige waren.“
Dass sich Anwohner, die überwiegend aus dem „mittleren Bereich“ des Neubaugebiets kommen, noch aus einem anderen Grund verschaukelt vorkommen, verdeutlicht ein kleines Rechenexempel, das sie anstellen: Ein Grundstück an der Lärmschutzwand mit 385 Quadratmetern Fläche konnte für 84 700 Euro erworben werden. Durch den Zukauf einer öffentlichen Grünfläche von 433 Quadratmetern zum Preis von 38,50 Euro pro Quadratmeter ist somit ein Gesamtgrundstück von 818 Quadratmetern für 101 370,50 Euro erworben worden, rechnen sie vor. Für einen ähnlichen Kaufpreis habe man im Originalplan ein etwas mehr als halb so großes Grundstück erwerben können. „Der Preis der verkauften Grünflächen steht in keinem Verhältnis zum originären Grundstückspreis von 220 Euro beziehungsweise 200 Euro pro Quadratmeter“, kritisieren die Anwohner. Auch wenn auf der Grünfläche kein Bebauungsrecht bestehe, so erhöhe das dennoch signifikant den Wert dieser Grundstücke. Eine eigentlich logische Schlussfolgerung: doppelt so viel Fläche gleich höherer Wert. Der Fachanwalt der Stadt sieht das indes anders und behauptet, dass die doppelt so große Fläche keine Wertsteigerung des Grundstücks mit sich bringe. Die Käufer hätten „ein nicht bebaubares Grundstück erworben, das ihnen bezogen auf die vorgelagerte Wohnhausbebauung keinerlei Vorteile etwa durch Anhebung der Ausnutzungsziffern wie etwa der Geschossflächenzahl beziehungsweise Grundflächenzahl bietet“, wie es in einem Schreiben an die Anwohner heißt.
Eben an jenem Anwaltsschreiben lässt sich gut die zweite Ebene des Unmuts der Anwohner festmachen. Denn neben der inhaltlichen Kritik an der Sache gibt es noch eine weitere Komponente für ihren Ärger und ihre Enttäuschung: den Umgang der politischen Entscheidungsträger mit den Vorgängen rund um das Neubaugebiet. So reagierte Bürgermeister Daniel Glöckner, der selbst seinerzeit nicht in der Verantwortung stand, auf ein Schreiben der Anwohner zunächst überhaupt nicht. Auf eine erneute Anfrage erhielten sie zumindest eine Eingangsbestätigung mit Verweis auf den gebildeten Akteneinsichtsausschuss. Dem folgte eine Woche später folgende Antwort des Rathauschefs: „Sehr geehrte Damen und Herren, anbei übersende ich Ihnen das Schreiben des Anwalts Th. Eichhorn bzgl. Ihres Schreibens vom 5. Mai 2019. Es grüßt Sie, Ihr Daniel Christian Glöckner, Bürgermeister.“ Da verschlug es den Anwohnern erst einmal die Sprache. „Man hat wohl gehofft, uns mit einem Anwaltsschreiben einschüchtern zu können“, vermutet Meike Meier. Aber auch wenn die Betroffenen durchaus Angst vor eventuellen Repressalien der Stadt hätten, verstummten sie nicht. „Wir bedauern es sehr, dass auf unsere Bitte um Stellungnahme und Ortstermine von Ihrer Seite einzig mit einem Anwaltsschreiben reagiert wurde. Ohne weiteren Kommentar oder Erklärung durch Sie als gewählten Vertreter der Bürger. Das verwundert umso mehr, wo Ihnen doch mit Ihrer bisherigen beruflichen Kompetenz die Wirkung von Botschaften bekannt ist“, formulierten sie in ihrer Antwort an den Rathauschef. „Es scheint Ihnen also weder an Transparenz noch an einem Dialog mit den Bürgern gelegen zu sein. Ihre Antwort hat leider dazu beigetragen, dass der Unmut langsam, aber sicher in Wut umschlägt.“ Das Fass zum Überlaufen brachte dann die Erkenntnis, dass Stadt und SEG ungeachtet des eingesetzten Akteneinsichtsausschusses offenbar weiterhin an einer nachträglichen Legitimation der Verstöße durch die zweite Änderung des Bebauungsplans arbeiten.
Ein Gefühl von Ohnmacht
„Was haben wir für eine Chance? Am Ende werden die Verstöße doch nachträglich legitimiert. Es ist ein Gefühl von Ohnmacht“, versucht Meike Meier ihre aktuelle Gefühlslage in Worte zu fassen. Es könne doch nicht sein, dass ein Neubaugebiet so grundlegend verändert werde, ohne den offiziellen Weg einschließlich der vorgesehenen Bürgerbeteiligung einzuhalten. Natürlich könne man über alles reden. Dazu müsste bei der Stadt aber erst einmal die Einsicht reifen, dass sie etwas falsch gemacht habe. Ein Kompromiss, mit dem alle Seiten leben könnten, sei daher nicht in Sicht. Ob die Anwohner im Zweifelsfall auch den letzten Schritt gehen und die Stadt verklagen würden, vermag sie derzeit nicht zu sagen. „Wir sind im Recht“, betont sie. „Warum müssen wir überhaupt darüber nachdenken, ob wir dieses offensichtliche Recht einklagen?“
Trotz des ganzen Ärgers hat Meike Meier zumindest nicht ihren Humor verloren. Denn was im Grünflächen-Konflikt offenbar funktioniert hat, könnte man ja auch an anderer Stelle probieren, wie sie mit ihrem Mann schon gewitzelt hat: „Wir bauen noch zwei Stockwerke auf unser Haus drauf und lassen es uns einfach hinterher genehmigen.“